Ach, Westerwave …
14. Februar 2010 um 15:14 Uhr von Atari-Frosch
... man muß sich doch nicht mehr blamieren als nötig. Schon gar nicht in Ihrer Position. Ich meine — eins muß man Ihnen lassen: Sie können das mit dem Ignorieren und Verschweigen von Tatsachen genauso gut wie Zensursula. Da haben Sie sich gut was abgeguckt. Zensursula durfte ja letztes Jahr im Wahlkampf monatelang, ja über ein Jahr lang, öffentlich erklären, warum man unbedingt und alternativlos Internetzensur einführen muß. Und Sie erklären uns jetzt lang und breit, daß die Hartzer auf Kosten der braven Steuerzahler in spätrömischer Dekadenz leben. Müssen wir uns das jetzt auch über ein Jahr lang anhören? Achnee, im Mai ist ja die Wahl in NRW, danach können Sie sich bestimmt wieder anderen Dingen zuwenden.
Sie ignorieren und verschweigen, daß das Problem weder die Hartzer noch die normalen Arbeiter sind. Denn beide Gruppen sind Opfer der schröderschen Hartz-Politik; sie sind keine Gegner. Die Hartzer sollen weniger haben, als man zur Menschenwürde braucht, damit die normalen Arbeiter bereit sind, sich unter Wert zu verkaufen, wollen sie nicht riskieren, ebenfalls zu Hartzern zu werden. Die Zwangsverarmten werden als Drohkulisse für die noch nicht so ganz Armen mißbraucht. Vor dem Hintergrund, daß es definitiv nicht genügend sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gibt, funktioniert das auch ganz hervorragend, vor allem, wenn man verschweigt, wo das Geld wirklich hinfließt.
Denn als die Banken sich zu Tode gezockt hatten, da mußte plötzlich alles getan werden, um sie zu „retten”. Dafür durfte sich der Steuerzahler nicht zu schade sein. Und heute zocken sie weiter. Wenn aber Menschen unverschuldet in Not geraten, dann tut derselbe Staat alles, um sie nicht unterstützen zu müssen. Wir lernen: Banken sind evident wichtiger als Menschen. Damit das auch ganz klar ist, werden die Bankster dann auch noch zu Parties im Bundeskanzleramt eingeladen.
Insofern stimmt Ihre Einzelaussage, Arbeitnehmer würden mehr und mehr „zu den Deppen der Nation”, tatsächlich. Aber nicht die Hartzer machen die Arbeitnehmer zu Deppen, sondern so ignorante Menschen wie Sie. Und das schlimme ist: Sie wissen ganz genau, was Sie da anrichten, daß sie die einen Opfer gegen die anderen ausspielen, um einen lachenden Dritten, nämlich Ihre reiche Klientel, aus der Schußlinie zu bringen.
Zu dem „anstrengungslosen Wohlstand” darf ich Sie gern mal einladen. Probieren Sie den „anstrengungslosen Wohlstand” eines Hartzers oder Grundsicherungsempfängers mal aus. Und dann rechnen Sie sich aus, wie sich dieses Erlebnis langfristig auswirkt: Auf den Zustand Ihrer Wohnungseinrichtung (nichts hält ewig), auf Ihre Psyche, auf Ihren Freundeskreis. Nein, ich weiß, das wollen und können Sie sich nicht vorstellen. Dazu sind Sie zu dekadent.
Ach ja, noch eine Aussage, die Ihre Ignoranz beweist:
Zynisch sei es, „wenn diejenigen, die in Deutschland arbeiten, die aufstehen, die fleißig sind, sich mittlerweile dafür entschuldigen müssen, dass sie von ihrer Arbeit auch etwas behalten möchten.”
Ein Hartzer darf von seinem Zuverdienst nach den ersten 100 Euro nur noch 20 % behalten. Ein Grundsicherungsempfänger (SGB XII) hat keinen Freibetrag und darf nur 30 % behalten, obwohl davon auszugehen ist, daß ein Grundsicherungsempfänger von vornherein nicht in der Lage ist, seine verbliebene Arbeitsfähigkeit teuer genug zu verkaufen, daß sich das noch lohnt. Also: Wer muß sich dafür entschuldigen, daß er von seiner Arbeit noch was behalten will? Am meisten müssen sich die Zwangsverarmten dafür entschuldigen! Diejenigen, die Geld einnehmen, ohne dafür zu arbeiten, die stattdessen, wie es heißt, ihr Geld arbeiten lassen (eigentlich: andere für ihr Geld arbeiten lassen), müssen das dafür gar nicht.
Einen Punkt habe ich noch, dann bin ich für heute mit Ihnen fertig:
„Für mich ist die beste Sozialpolitik immer noch die Bildungspolitik, und da haben wir in Deutschland mittlerweile geradezu dekadente Erscheinungen.”
Dazu nur einen Satz von Ihnen: „Es ist Deutschland hier.” Herr Westerwelle, frühestens dann, wenn Sie nachweisen, daß Sie besser Englisch können als ich, dürfen Sie das wieder sagen. Und vorher halten Sie über Bildung bitte gefälligst die Klappe.
14. Februar 2010 at 15:58
JA! Sehr schön. Es hilft nur nix…
14. Februar 2010 at 17:15
@Vera: Mir ist klar, daß Westerwave hier eher nicht mitlesen wird. Und selbst, wenn es ihm jemand zuträgt, wird’s ihn nicht interessieren. Aber nichtsdestotrotz mußte es raus. 🙂