Neue Spamwelle „Abmahnung”
13. Oktober 2010 um 18:50 Uhr von Atari-Frosch
Auf einem Mail-Account, der nur auf einer Website als Kontaktmöglichkeit genannt und sonst nirgends eingesetzt oder angegeben wird, schlugen bei mir vorhin zwei gleichlautende Spam-Mails auf. An sich nichts Ungewöhnliches. Das Besondere an dieser Art von Erpressungs-Spam besteht darin, daß die Spammer auf die Abmahn-Geilheit der Content-Industrie aufspringen.
Die Mail kommt scheinbar von einem Rechtsanwalt. Die Domain rechtsanwalt-giese.info liegt aber seltsamerweise bei privacyprotect.org, die Adresse des Domaininhabers ist erkennbar gefälscht (Stadt: Zürich; Land: Niederlande; internationale Vorwahl der Telefonnummer: Dänemark), und der Nameserver ist russisch. Der Netzblock, in welchem die zur Domain gehörige IP 91.216.215.66 liegt, gehört ebenfalls zu einer russischen Firma, die sich Encore Ltd. nennt. Spamhaus listet 91.216.215.0/24 bereits als „dirty network”, und zwar seit 29.07.2010.
Der Text der Mail sieht so aus:
Guten Tag,
in obiger Angelegenheit zeigen wir die anwaltliche Vertretung und Interessenwahrung der Firma Videorama GmbH, Munchener Str. 63, 45145 Essen, an.
Gegenstand unserer Beauftragung ist eine von Ihrem Internetanschluss aus im sogenannten Peer-to-Peer-Netzwerk begangene Urheberrechtsverletzung an Werken unseres Mandanten. Unser Mandant ist Inhaber der ausschliesslichen Nutzungs- und Verwertungsrechte im Sinne der §§ 15ff UrhG bzw. § 31 UrhG an diesen Werken, bei denen es sich um geschutzte Werke nach § 2 Abs 1 Nr. 1 UrhG handelt.
Durch das Herunterladen urherberrechtlich geschutzer Werke haben sie sich laut § 106 Abs 1 UrhG i.V. mit §§ 15,17,19 Abs. 2 pp UrhG nachweislich strafbar gemacht. Bei ihrem Internetanschluss sind mehrere Downloads von musikalischen Werken dokumentiert worden.
Aufgrund dieser Daten wurde bei der zustandigen Staatsanwaltschaft am Firmensitz unseres Mandanten Strafanzeige gegen Sie gestellt.
Aktenzeichen: 337 Js 410/77 Sta Essen
Ihre IP Adresse zum Tatzeitpunkt: 130.08.37.3
Ihre E-Mail Adresse: [gelöscht, Frosch]
Illegal heruntergeladene musikalische Stucke (mp3): 15
Illegal hochgeladene musikalische Stucke (mp3): 26
Wie Sie vielleicht schon aus den Medien mitbekommen haben, werden heutzutage Urheberrechtverletzungen erfolgreich vor Gerichten verteidigt, was in der Regel zu einer hohen Geldstrafe sowie Gerichtskosten fuhrt. Link: Urheberrecht: Magdeburger muss 3000 Euro Schadensersatz zahlen
Genau aus diesem Grund unterbreitet unsere Kanzlei ihnen nun folgendes Angebot: Um weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und anderen offiziellen Unannehmlichkeiten wie Hausdurchsuchungen, Gerichtsterminen aus dem Weg zu gehen, gestatten wir ihnen den Schadensersatzanspruch unseres Mandanten aussergerichtlich zu loesen.
Wir bitten Sie deshalb den Schadensersatzanspruch von 100 Euro bis zum 18.10.2010 sicher und unkompliziert mit einer UKASH-Karte zu bezahlen. Eine Ukash ist die sicherste Bezahlmethode im Internet und fur Jedermann anonym an Tankstellen, Kiosken etc. zu erwerben.
Weitere Informationen zum Ukash-Verfahren erhalten Sie unter: [URL gelöscht, Frosch]
Senden Sie uns den 19-stelligen Pin-Code der 100 Euro Ukash an folgende E-Mailadresse zahlung@rechtsanwalt-giese.infoGeben Sie bei Ihre Zahlung bitte ihr Aktenzeichen an!
Sollten sie diesen Bezahlvorgang ablehnen bzw. wir bis zur angesetzten Frist keinen 19- stelligen Ukash PIN-Code im Wert von 100 Euro erhalten haben, wird der Schadensersatzanspruch offiziell aufrecht erhalten und das Ermittlungsverfahren mit allen Konsequenzen wird eingeleitet. Sie erhalten dieses Schreiben daraufhin nochmals auf dem normalen Postweg.
Hochachtungsvoll,
Rechtsanwalt Florian Giese
Allein die Tatsache, daß die Umlaute kaputt sind, ist für den Laien vielleicht noch ein Hinweis darauf, daß es sich hier nicht um ein echtes anwaltliches Schreiben handelt. Ob jeder weiß, wie man ein Aktenzeichen liest, ist auch so die Frage: Js steht zwar tatsächlich für ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, aber die zwei Zahlen hinter dem Schrägstrich stehen immer für die Jahreszahl, in welcher die Akte angelegt wurde. Und ich glaube, 1977 hat auch die Staatsanwaltschaft Essen noch keine Urheberrechtsverletzungen im Internet verfolgt. 😉
Welche IP-Adresse man zu Hause gerade von seinem Provider zugeteilt bekommt, kümmert die meisten Leute vermutlich nicht; die hier behauptete IP 130.08.37.3 kann es jedoch mit fast 100%iger Sicherheit nicht sein, weil sie zu AT&T USA gehört. Zudem ist die Schreibweise mit einer führenden Null vor einer der Stellen absolut unüblich.
Was auch, aber nur so nebenbei, fehlt, ist die genaue Auflistung der angeblich verbreiteten Werke. Die Behauptung, es seien soundsoviele „musikalische Stucke” verteilt worden, ist ja nicht gerade sehr genau.
Schließlich übersieht der angebliche Herr Rechtsanwalt, daß eine Strafanzeige eventuell gar nicht so einfach zurückgezogen werden könnte. Eine „außergerichtliche Einigung” abseits der Strafverfolgungsbehörden wäre also nur vor einer Strafanzeige sinnvoll.
[Ergänzung] Das angebliche Ermittlungs-Aktenzeichen, die angebliche Einwahl-IP und die Anzahl der angeblich heruntergeladenen und angebotenen „Stucke” variieren offenbar. In der zweiten Mail lautet die IP 100.42.53.5, das Aktenzeichen 331 Js 624/54 (klar, 1954 hatten wir schon Internet), und es werden 11 bzw. 27 Stücke angemahnt. [/Ergänzung]
[Ergänzung 2] Alex Schestag macht mich gerade darauf aufmerksam, daß es einen entsprechenden Fachanwalt namens Florian Giese tastächlich gibt. Dieser macht jedoch bereits darauf aufmerksam, daß er mit diesen E-Mails nichts zu tun hat. [/Ergänzung 2]
[Update 2010-10-14 20:53] Spammerlein hat offenbar dazugelernt. In einer neuen Version zeigt die genannte IP auf einen T-Online-Dialin, und das angebliche Aktenzeichen endet auf /10. Ändert nix daran, daß es Betrug bzw. versuchte Erpressung ist. [/Update]
13. Oktober 2010 at 19:20
Der Rechtsanwalt distanziert sich schon mal: http://www.rechtsanwalt-giese.de/
15. Oktober 2010 at 12:53
Warnen sollte man vor einem Besuch der angegebenen und hier zurecht als dubios aufgezeigten Webseite: Denn wer ohne Anonymizer den Link anklickt, übergibt als „glaubhaft Betroffener“ den Betrügern die echte IP-Adresse eines möglicherweise echten Filesharers, der sich anscheinend Sorgen macht tatsächlich ertappt worden zu sein.
Eine solche Liste von IPs kann von den Betrügern ausser für konkretere Erpressungsversuche auch an die tatsächlich existierende Content-Mafia und tatsächlich aktive Abmahnwahn-Anwälte verkauft werden.
Just my 2 €cents
15. Oktober 2010 at 13:05
@Wolfgang: Danke für den Hinweis. Ich hab den Link zwar rausgenommen, aber sonst nicht weiters nachgeforscht, was es mit „ukash” auf sich hat. Ob das ein separater Dienst ist oder einer, der von den Spammern selbst unterhalten wird, weiß ich daher nicht.
21. Oktober 2010 at 21:37
[…] sich wohl schon mehrere Blogger mit diesem Spam beschäftigt. Siehe dazu den Blogeintrag bei Atari-Frosch. Die Absender haben wohl mehrfach den Text inhaltlich […]