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Herbstdepressionen

2. November 2010 um 18:42 Uhr von Atari-Frosch

Es ist wieder Herbst, und wie viele andere Depressive um mich herum kämpfe ich auch wieder stärker mit der Krankheit. Diverse Fernsehsender und Zeitungen berichten verstärkt über das Thema — insbesondere gibt es ja seit einem Jahr einen prominenten Aufhänger dafür: Vor einem Jahr nahm sich der Torwart Robert Enke das Leben. Mit 32 Jahren, wegen Depressionen. Der Freitag versuchte herauszufinden, ob sich seit diesem Suizid in der öffentlichen Wahrnehmung etwas verändert hat (Aus dem Schatten).

Nach meiner Wahrnehmung hat sich leider gar nichts verändert. Es gibt immer noch vier primäre Arten der Reaktion:

  1. „Hab Dich nicht so, beiß die Zähne zusammen, das geht schon irgendwie.” Die Sorte hat zwar abgenommen, aber das dürfte eher daran liegen, daß ich Leute, die mit solchen Sprüchen ankommen, einfach meide. Natürlich geht es bei Depressionen nicht um Lustlosigkeit, Faulheit oder Willensschwäche, aber das ignoriert man dann schon gern mal.
  2. „Oh, tut mir ja so leid”, und dann kommen Dutzende nutzlose Ideen, die ich alle schon teils mehrfach erfolglos durchhabe. Diese Leute meinen, unbedingt irgendwie helfen zu müssen, ohne Ahnung zu haben. Sie erwarten außerdem, daß ich ihre eigene Hilflosigkeit gegenüber dieser Krankheit beruhige: „Es muß doch irgendwas geben? Man muß doch irgendwas tun können?”. So als ob ich nicht schon genug durchprobiert hätte.
  3. „Aber Du kannst doch so viel, könntest Du nicht ...?” — und dann kommen Vorschläge, wie ich Geld verdienen könnte, weil die Leute Können/Wissen und Leistungsfähigkeit nicht auseinanderhalten können. Auch nach Erklärung nicht. Klar könnte ich jede Menge tun, wenn ich gesund wäre, ich bin da auch ziemlich flexibel. Dumm, daß man die Einschränkungen, die eine Depression verursacht, nicht einfach sehen kann. Kein Gips, keine Krücken, nicht mal ein Ausschlag oder ein Verband. Sorry, es geht trotzdem nicht. Konzentrationsmangel hat nun mal keine optischen Auswirkungen.
  4. „Ich kann Dich gut verstehen, geht mir auch so.” — das sind andere Betroffene. Ihnen muß ich meistens nichts erklären. Das ist zwar auch mal angenehm, aber noch wichtiger wäre es mir (und sicher nicht nur mir), wenn gerade die Nicht-Betroffenen (Noch-nicht-Betroffenen?) mal ein wenig Rücksicht nehmen würden. Allerdings habe ich auch andere getroffen, die meinen, weil sie mit einem Medikament oder einer Therapieform klarkommen, müßte das bei mir auch funktionieren. Diese Betroffenen haben das Schubladendenken ihres Arztes übernommen, der ihnen vermutlich genau das gleiche erzählt hat.

Und die Ärzte, überwiegend Psychiater, sind denn noch ein ganz spezielles Problem. Eigentlich sollten sie Teil der Lösung sein. Das sind sie meiner Erfahrung nach aber gerade leider nicht. Die meisten von ihnen gehören unter Punkt 1 (man solle sich nicht so anstellen), Punkt 2 (Dutzende von nutzlosen Ideen, dazu noch 'ne halbe Apotheke mitsamt abhängig machender Sedativa) und Punkt 3 (Können/Wissen und Leistungsfähigkeit nicht auseinanderhalten können) gleichzeitig. Dazu kommt ein massives Schubladen-Denken, wie schon in Punkt 4 erwähnt: Was bei einem Teil funktioniert, hat gefälligst auch beim Rest zu funktionieren, sonst sind die Patienten selbst schuld. Oh, und Nebenwirkungen von Medikamenten gibt es einfach nicht, die sind auch Problem des Patienten, kann man wunderbar ignorieren. Und wenn nicht, sind sie eben der Preis, den der Patient bezahlen muß, damit es ihm vielleicht irgendwann mal besser geht. Sofern das Medikament überhaupt wirkt.

Ach übrigens, was das „Zähne zusammenbeißen” angeht: Ja, hab ich gemacht, unbewußt, im wahrsten Sinne des Wortes. Über viele Jahre. Bis mir meine (Backen-)Zähne buchstäblich zerbröselten und von meinem Gebiß nicht mehr viel übrig war. Und dann wurde mir von der Krankenkasse nicht einmal eine Vollnarkose zum Abschleifen der restlichen Ruinen bezahlt, um da Brücken draufzusetzen. Stattdessen mußte ich vier Stunden lang am Stück bei einer zum Glück sehr verständnisvollen Zahnärztin sitzen, bis mit Hilfe einiger Betäubungsspritzen, nach diversen Panikattacken und einem Fast-Zusammenbruch alles erledigt war (übrigens: ich bin auch noch klaustrophobisch). Ich beiße heute die Zähne immer noch unbewußt zusammen, besonders in stärkeren depressiven Phasen. Eine der Brücken hält dem nicht stand und ist schon zweimal rausgefallen. Daher trage ich mittlerweile nachts eine Knirscherschiene.

Aber zurück zur angeblichen Enttabuisierung. Im Freitag heißt es:

Schulze hat beobachtet, dass gerade höher Qualifizierte, Manager und Unternehmer, ihr Leiden auffällig schnell akzeptieren und sich effektiv behandeln lassen

Klar, die sind ja dann auch oft privat versichert und müssen nicht monatelang auf einen Ersttermin warten — um dann festzustellen, daß sie beim Psychiater oder auch Therapeuten nicht ernst genommen werden, siehe oben. Sie haben es viel einfacher als kleine Angestellte oder Zwangsverarmte. Sie werden offenbar auch nicht der ständigen Beschuldigung ausgesetzt, einfach nur faul zu sein.

Es ist mit Sicherheit auch kein Zufall, daß es immer mehr Zwangsverarmte sind, die depressionskrank werden und dann da auch nicht mehr herauskommen. Behörden mögen ja Leute, die sich nicht wehren können, bei denen kann besonders leicht kürzen und sie besonders gut schikanieren, was die Krankheit wiederum chronifiziert. Und wer sich dann aus Verzweiflung das Leben nimmt, fällt ganz aus dem „Leistungsbezug” heraus, also immer feste druff!

Mit einer allgemeinen Enttabuisierung oder gar besseren Anerkennung der Krankheit hat es also nichts zu tun, daß reiche(re) Männer jetzt öfter damit zum Arzt gehen. Im Alltag der meisten Depressiven hat sich nach meiner Beobachtung genau gar nichts geändert.


History

9 Kommentare zu “Herbstdepressionen”

  1. Harakiri quakte:

    guter text.
    ich bin mittlerweile seit einigen jahren davon betroffen und kann vieles aus deiner beschreibung bestätigen.


  2. Doc quakte:

    Gute Besserung, Frosch! Hast Du eigentlich – nur Neugier – mal nach Depression als Komorbidität bei ADHS bei Erwachsenen gefragt? Erschreckend viele Psychs wissen überhaupt nichts drüber. Medis „für das falsche“ sind grade da echt übel.


  3. Melanie quakte:

    Hallo,

    seit geraumer Zeit schlage ich mich mit traurigen gedanken rum, kann nicht schlafen, bin unruhig, nervös, antriebslos. Lesen mag ich nicht und meine heissgeliebte Spiegelreflexkamera liegt seit wochen im Schrank.

    Diese Seite trifft genau das was ich zur Zeit empfinde und es erschreckt mich! Bin immer lebensfroh gewesen, voller Elan, positiv denkend…dann ging mein Kiosk pleite und ich stecke in einem Insolvenzverfahren…

    Den Mut zum Arzt zu gehen hatte ich noch nicht.

    Es weiss auch sonst keiner wie ich mich fühle.

    Gruß Mel


  4. frosch quakte:

    @Doc Die Probleme bei AD(H)S sind mir einigermaßen geläufig, ich kenne mindestens zwei Betroffene. Daher gehe ich davon aus, daß ich davon nicht betroffen bin. Wobei es durchaus scheinbare (!) Ähnlichkeiten gibt, wie z.B. der Konzentrationsmangel und, wie ich es von stärkeren Depressionen kenne, die Unfähigkeit, Eindrücke zu „filtern”. Meine Filterfähigkeit hängt aber von der Stärke der Depression ab. Bei AD(H)S hätte ich die, glaube ich mal, so gar nicht.

    @Melanie: Gerade die Situation, daß „alles den Bach runter geht”, kann eine Depression auslösen. Das Gemeine ist, daß sich die Krankheit dann quasi selbständig macht, das heißt, auch wenn die Situation bereinigt ist, heißt das nicht automatisch, daß die Depressionen weggehen. Statt mit einem Arzt würde ich es aber eher noch mit einem Psychotherapeuten versuchen. Die zuständigen Ärzte wären nämlich Psychiater, und von denen kann ich mittlerweile nur noch abraten.

    Wenn Du Dich darüber austauschen möchtest, kannst Du mich gern auch per E-Mail kontaktieren.


  5. Matilda quakte:

    AD(H)S-Filter = zwei Extreme (natürlich mit individuellen Abstufungen …) entweder kommt ALLES rein, alles schaut gleich wichtig und interessant aus … oder EINES ist sowas von besonders interessant, da kommt dann nichts anderes durch (auch Hyperfokussierung genannt). Fies dabei: ist nicht (jedenfalls für mich noch nicht …) wirklich steuerbar. Ich freue mich aber immer über die Hyperfokusphasen, weil ich dann produktiv bin, im Akkord Erfolgserlebnisse sammle und mich damit irgendwie durch die Downphasen schleppen kann. Blöd wieder, wenn über einen längeren Zeitraum sich kein Hyperfokus einstellt – dann wird alles so unendlich schwer und langsam und müde und düster. Unterschied zur manischen Depression: das mentale Interessant-Langweiling-Apathisch-Aufgedreht-Pingpong läuft täglich mehrmals 24/7, 7/12 …

    Wünsch frosch und allen anderen alles Gute!


  6. Christian quakte:

    Ich finde man hat allein schon daran gemerkt, dass sich nicht verändert hat, seit dem Tod von Robert Enke, dass sich für den Jahrestag kaum einer interessiert hat. Ich bin gespannt ob das Buch von seiner Frau wenigstens noch etwas auf das Thema aufmerksam machen kann.


  7. Fozzie quakte:

    Also ich hab mal die Liste der Medikamente die Du bisher genommen hast durchgeschaut. Da ist noch einiges wss man probieren könnte, z.B. SSRI-Antidepressiva, Mirtazapin und was weiß ich noch. Vielleicht wirkt irgendeines dieser Medis und Du wärst von deinen Depressionen befreit. Wenn die Dinge schon so schlecht laufen würde ich diesbezüglich nicht aufgeben.


  8. Fabian quakte:

    Ich empfehle dir L-Tryptophan (herkömmliche Aminosäure (vorstufe von Serotonin)) mit hochdosiertem Vitamin B präparat über mehrere Wochen zu probieren. Am besten mit Neurologen besprechen.


  9. Fabian quakte:

    Achso L-Tryptophan VOR dem Mittagessen!


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