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Schöne Aussichten

5. November 2010 um 0:20 Uhr von Atari-Frosch

Dozent Thomas Wagner arbeitet an der Uni Düsseldorf im Fachbereich 6 für Sozial- und Kulturwissenschaften. Um seinen Studenten einen Realitätsabgleich zum Thema Sozialstaatsprinzip zu geben, schickte er sie zur ARGE Düsseldorf-Mitte in der Luisenstraße. Das ist zufällig die ARGE, die derzeit auch für mich zuständig ist — und zuständig bleibt, wenn das Sozialgericht meine Klage gegen die Rentenversicherung abweist.

Über das Ergebnis der Studie ist er wohl selbst erschrocken: 43,2 % der 251 Befragten waren von Kürzungen betroffen. Gekürzt wurde wegen

  • Melde- und Terminversäumnissen,
  • fehlenden oder nicht rechtzeitig vorliegenden Unterlagen,
  • Versäumnissen bei der Aufnahme bzw. Wahrnehmung von Arbeits- und Schulungsangeboten.

Das klingt erstmal nach einem gefundenen Fressen für BILD und andere Hetzer, aber:

Die Begründungen stellen sich in der Praxis differenzierter dar: Das Ablehnen des wiederholten Besuchs eines Bewerbertrainings, die Verweigerung der Teilnahme am x-ten Computerkurs, Der Nachweis von nur 16 statt der geforderten 20 Bewerbungen in einem Monat, die nicht fristgerechte Beibringung von Arbeits- oder Scheidungspapieren, all das sind Gründe für Kürzungen.

Quelle: Studie Wer nicht hören will, muss fühlen! [PDF].

Das mit den Unterlagen ist ja so eine Sache. Wenn die Stelle, von der man ein Dokument braucht, selbst im Schneckentempo arbeitet oder den Antrag verschlampt, kann das ja mal etwas länger dauern. Dazu kommt, daß oft genug Unterlagen eingefordert werden, die nicht nur nicht nötig sind, sondern auf die die ARGE gar keinen Anspruch hat.

Wenn man dann noch weiß, was das für „Eingliederungsvereinbarungen” sind, die diese ARGE ihren zynisch „Kunden” genannten Opfern gern aufzwingt, sind das richtig schöne Aussichten. Die sogenannten „Vereinbarungen” sind eben keine Verträge auf Augenhöhe, sondern reine Repressionsmittel. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, sie werden so ausgestaltet, daß sie gar nicht eingehalten werden können — schließlich ist ja Sparen und Kürzen das primäre Ziel, und nicht etwa Hilfe für bedürftige Menschen.

Nachdem jetzt schon zwei „Experten” meine eigentlich gar nicht vorhandene Arbeitsfähigkeit behaupten, muß ich ja damit rechnen, daß das Sozialgericht meine Klage verwirft. Was kann kommt, kann ich im Prinzip schon jetzt voraussagen:

Gleich zuerst kommt eine aufgezwungene Eingliederungsvereinbarung mit der Auflage, 10, 15 oder 20 Bewerbungen im Monat zu schreiben. Alternative: Gar kein Geld bekommen. Diese Bewerbungen sind ja auch noch völlig sinnlos. Ich bin über 40 und seit über 10 Jahren aus meinem letzten sowie seit über 14 Jahren aus meinem offiziellen Ausbildungsberuf raus. Sollte ich denn wirklich eine Stelle bekommen, würde ich wohl nach spätestens drei Wochen wegen Überforderung rausfliegen. Die ARGE fände dann sicher einen Grund, mir Faulheit zu unterstellen und wiederum zu sanktionieren.

Gleiches geschähe, wenn man mir einen Kurs (natürlich in Vollzeit) in was auch immer oder einen 1-€-Job aufzwingen würde.

Also käme die erste Sanktion (30 % Abzug) nach einem Monat. Die zweite Sanktion, weil ich dann ja immer noch nicht so viele Bewerbungen schreiben (bzw. immer noch keinen Kurs/Billigjob wahrnehmen) kann, käme nach spätestens einem weiteren Monat, und dann wäre ich bereits nicht mehr in der Lage, die Miete zu bezahlen. Dritte Sanktion, damit vollständige Streichung, spätestens nach dem dritten Monat. Wohnungskündigung nach spätestens einem halben Jahr, und noch lange, bevor die Räumung kommt, Strom, Gas und Telefon/Internet weg (wobei ich ohne Strom weder Telefon/Internet noch Heizung hätte — die Gastherme braucht Strom für den Zündfunken). Wohnungsverlust und Obdachlosigkeit nach einem Jahr (denn Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß ich dann noch in der Lage bin, eine Wohnung zu suchen oder daß die ARGE dabei irgendwie hilft?), wenn ich dann noch nicht verhungert bin oder die Depressionen mich umgebracht haben.

Ich hoffe, das Gericht entscheidet weise.

Für mich sind diese Aussichten ein (weiterer) Ansporn, bei einer Zurückweisung der Klage in die nächste Instanz zu gehen. Und dann wieder in die nächste. Bis vor den EuGH, wenn es sein muß. Nochmal lasse ich mich von einer solchen Behörde nicht zerstören, sie hätten es schon zweimal beinahe geschafft.

[Update 2010-11-05] Bei Udo Vetter habe ich einen weiteren Hinweis darauf gefunden, daß die ARGE Düsseldorf (und nicht nur diese) ein rechtsfreier Raum ist. Auch die Kommentare Nr. 11, 19, 22, 29, 33, 40, 45 und 47 sind lesenswert. [/Update]


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8 Kommentare zu “Schöne Aussichten”

  1. Nico79 quakte:

    Aber wird die Miete bei Harz IV nicht eh gezahlt, unabhängig von den eventuellen Kürzungen?


  2. frosch quakte:

    @Nico79: Nein, es wird eben nicht nur an den 359 Euro gekürzt, sondern am gesamten Betrag! Ob man dann Miete, Heizung, Strom oder sonstige notwendige Verpflichtungen noch bezahlen kann, geht dem Amt am Allerwertesten vorbei.


  3. Nico79 quakte:

    Mmmmh, check das lieber mal nochmal ab, hatte nämlich auf der Seite http://www.hartz-4-empfaenger.de/hartz-4-kuerzung gelesen, dass Miete z.B. nicht gekürzt werden darf („Versicherung, Mietkosten, Heizung sind von den Kürzungen nicht betroffen.“).

    Nicht, dass die dir da einfach was abziehen…


  4. Fozzie quakte:

    Also die Sozialgerichte urteilen ja in solchen Dingen sehr Kläger-freundlich. Von daher bin ich guter Dinge, dass die Sache gut für Dich ausgehen wird und drücke dir alle Daumen!


  5. Luise quakte:

    Hört doch endlich mal auf zu jammern! Ihr könnt doch froh sein überhaupt in einem Staat zu leben, der Unterstützungen anbietet! In den USA oder anderen Großindustrieländern würdet ihr schon auf der Straße leben! Wenn ihr Hartzer jammert muss die gesamte Gesellschaft bereit sein euch zu helfen – gehen die Studenten auf die Straße um bessere Ausbildungsmaßnahmen zu bekommen, wird das nüchtern und mit Unverständnis belächelt – auch von euch…


  6. frosch quakte:

    @Luise: Ach ja, das alte Nicht-Argument, daß es anderen ja noch viel schlechter geht. Wir haben ein Grundgesetz, in dem so ein paar Rechte garantiert werden, schon vergessen? Ach so, stimmt ja, das gilt ja nicht für Zwangsverarmte.

    Also weil man in den USA auf die Straße geworfen wird, wenn man arm ist, dürfen wir hier erst was sagen, wenn wir selbst obdachlos sind?

    Was die Studenten angeht: Ich unterstütze sehr wohl die Proteste der Studenten gegen den verschulten Bachelor-Studiengang. Auch wenn ich darüber bislang nichts gebloggt habe.


  7. Infamis1 quakte:

    Frosch, lass Dich da von Dummschwätzern wie Luise nicht anmachen. Wer selber unterdrückt ist, sucht sich immer wieder andere, die noch schwächer sind, um diese zu unterdrücken. Ich denke, einen solchen Kommentar kann man nur in diesem Lichte sehen.

    Du bist nun wirklich nicht dumm und Du weißt sicherlich, wenn die Depression zu heftig wird, dann gehst Du zum Hausart, läßt Dir eine Überweisung in eine psychosomatische Klinik geben (das macht der ja nun auch nicht nur zum Zeitvertreib) und Du wirst ca. 8 Wochen gut aufgehoben in einer Klinik Deiner Wahl sein und danach wird man weitersehen. Ob es danach dann direkt wieder Arbeitsfähig weiter geht ist offen, es kann dann auch zu einer komplett neuen Beurteilung Deiner Leistungsfähigkeit kommen. Wenn irgendwie möglich – kümmer Dich drum.

    Dein im Artikel geschildertes Szenario muss so nicht eintreten – es kann so kommen, wenn Du die Sache schleifen läßt, Dich aufgibst – was (soweit ich Dich aus Deinern Artikeln hier beurteilen kann) nicht zu Dir passen würde.

    Alles Gute !!!


  8. frosch quakte:

    Wußte ich es doch. Regelsatz auf Null gekürzt — selbst wenn das illegal sein sollte, muß die (hier: hochschwangere) Frau erstmal zum Sozialgericht. In ihrem Zustand wird es besonders schwer sein, eine Klage durchzuziehen. Und genauso ist das dann auch, wenn jemand krank ist. Die Behörden setzen darauf, daß sich Leute nicht wehren oder nicht wehren können.


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