VDS als eierlegende Wollmilchsau?
2. Juli 2011 um 13:14 Uhr von Atari-Frosch
Der @scanlines machte auf folgenden Kommentar in einem BDK-Forum aufmerksam:
Bitte eine Erklärung, Frau Bundesjustizministerin!
Die Ermittlungen nach dem Mörder der 7-jährigen Mary-Jane laufen nun auf Hochtouren. Die Leiche wurde rein zufällig schon einen Tag nach dem Verschwinden von Spaziergängern entdeckt. Die Hoffnungen der Angehörigen, dass der Fall schnell aufgeklärt wird, wiegen schwer auf die eingesetzten Spezialisten der Schutz- und Kriminalpolizei.
Kriminalisten hoffen in diesen schweren Stunden, dass ihnen ein wichtiges Ermittlungsinstrument zur Verfügung steht. Haben alle Provider die zurückliegenden Telekommunikations- und Netzdaten aus diesem Gebiet umfangreich gespeichert? Eine Verpflichtung dazu existiert nicht mehr. Ein wichtiger Baustein der Beweisführung ist dem Zufall überlassen.
Welche Erklärung könnte Frau Leutheusser-Schnarrenberger gegenüber den Angehörigen nun Auge in Auge abgeben? Ihr vorgeschlagenes Quick-Freese hätte in diesem Fall noch gereicht - doch nur zufällig!
Ralf Jörz - Ortsvorsitzender des BDK im HLKA
(Komplett-Zitat, nur falls das an der Quelle verschwinden sollte).
Die Vorgeschichte: Vor einer Woche wurde die 7jährige Mary-Jane aus Zella-Mehlis ermordet in einem Waldstück gefunden, nur 1,5 km von ihrem Elternhaus entfernt. Wie man aus diesem Stern-Artikel erfährt, nimmt die Polizei da auch schon fleißig Speichelproben, und es ist anzunehmen, daß sie dabei wieder die gleichen lustigen Methoden anwenden, die schon Rechtsanwalt Udo Vetter beschrieben hat. Das aber nur so nebenbei.
Der Herr Jörz vom „BDK im HLKA” möge mir aber doch bitte mal erklären, warum Telekommunikationsdaten hier hilfreich sein sollen. Allein die Information, wer in einem bestimmten Zeitraum mit wem telefoniert oder Mails ausgetauscht hat, wird ihm dabei nicht weiterhelfen. Oder rechnet Herr Jörz fest damit, daß der Täter vom Tatort aus mit dem Handy telefoniert hat, und sich dabei nach Möglichkeit auch noch alleine in derselben Funkzelle befand? Schauen wir doch mal: Wie groß ist denn so eine Funkzelle?
Die deutschsprachige Wikipedia sagt zur Reichweite einer Funkzelle (Stand: 28. Juni 2011 um 21:30 Uhr):
Die Größe einer Funkzelle ist abhängig von meteorologischen und geografischen Gegebenheiten, Aufbauhöhe und Typ der verwendeten Antennen, der Sendeleistung und dem verwendeten Mobilfunkstandard. Sie beträgt nur wenige Meter im Durchmesser für eine UMTS-Femtozelle, etwa 35km für eine gewöhnliche GSM-Zelle und das doppelte für dünn besiedelte Gebiete (Küstengewässer). Ein Durchmesser von 170km mit einer Fläche von 91.992 km2 ist die theoretisch erreichbare, maximale Fläche einer GSM400-Zelle, die bereits aufgrund der Geometrie mit einem konventionellen Antennenmast nicht abzudecken ist.
Also ist pro Funkzelle, also pro dort aktivem Mobilfunkanbieter, ein etwa rundes Gebiet von 35 km Durchmesser anzunehmen; insgesamt, da sich die Antennen sicher nicht alle am selben Ort befinden, wohl ein noch größeres Gebiet. Daß da ein bestimmter Mensch bzw. eigentlich ein bestimmtes Telefon, dessen Daten wie IMEI oder Telefonnummer sowie dessen genauer Aufenthaltsort bei einem möglichen Telefonat innerhalb dieses Gebietes nicht bekannt sind, mit der Hilfe von gespeicherten Vorratsdaten identifiziert werden kann, möchte ich einfach mal bezweifeln.
Und dann ist noch die Frage, ob das Telefon bzw. die darin befindliche GSM-Karte auf den Täter gemeldet ist oder nur ausgeliehen oder auf dem Flohmarkt erstanden wurde. Des weiteren wäre natürlich genauso denkbar, daß der Täter gar kein Telefon dabeihatte, solche Leute soll es ja auch geben.
Wie will Herr Jörz also mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung den Täter identifizieren?
Nein, um diesen Mörder zu fangen, wird die Polizei ganz normale, klassische Ermittlungsarbeit leisten müssen, also Leute befragen und Spuren sichern und auswerten. Man sucht da ja noch nach einer Wandergruppe, die in der Nähe gewesen sein soll.
Auch die angeblich freiwillige Speichelprobe dürfte dabei wohl eher nicht hilfreich sein. Denn wer sich weigert, ist noch lange nicht der Mörder, und ob der Mörder dann tatsächlich in der Gruppe derer ist, deren Speichelproben man nimmt, ist auch unklar — wie das nun mal bei Rasterfahndungen so ist. Denn es ist ja genauso denkbar, daß er aus einer völlig anderen Region stammt.
Das einzige, was bei beidem, VDS und Speichelproben, herauskäme, wären erneute Rechtsverletzungen gegenüber unbeteiligten Dritten. Und das, lieber Herr Jörz, ist nicht Aufgabe der Polizei.
2. Juli 2011 at 14:34
Zur Ergänzung und zur Betonung der VDS als eierlegende Wollmilchsau führe ich noch den Kommentar von Norbert Dieke (Revierkriminaldienst Wittenberg) an.
Er findet es
„schon arg bedenklich, wenn Geschädigte nicht die Möglichkeit haben Genugtung zu erhalten, nur weil der oder die Täter sich im Internet verstecken können.“
Man könnte fragen, seit wann in unserem Rechtssystem „Genugtuung“ ein Ziel der Strafverfolgung ist. Oder auch, wie man sich „im Internet verstecken“ kann.
Er fordert die VDS in absoluter Ignoranz des Urteils des BVerfG für solch unglaublich schwere Taten wie „Ausspähen von Kreditkartendaten“ und natürlich den beliebten „Enkeltrick“.
Denen sei ohne VDS absolut nicht beizukommen, so der Tenor.
Wir sehen also: die VDS ist wirklich für alles gut. Gegen Betrüger und Mörder und gegen Terroristen sowieso.
2. Juli 2011 at 17:46
Die VDS ist wahrscheinlich genau so eine Forderung wie beim Zugangserschwerungsgesetz.
Kann man schön unter nachfolgendem Link nachlesen
http://www.danisch.de/blog/2011/06/21/wie-die-deutsche-internet-kinderpornosperre-zustande-kam-und-zugrunde-ging/
Das Politiker von einer Materie nicht immer die größte Ahnung haben wirkt sich hier bestimmt auch aus.