#bpt112: We can haz BGE, plz?
5. Dezember 2011 um 19:14 Uhr von Atari-Frosch
Es war denkbar knapp: 66,9 % der akkreditierten Piraten stimmten beim Bundesparteitag in der Offenbacher Stadthalle für den Programmantrag PA284 Bedingungsloses Grundeinkommen und Mindestlohn, der Antrag erreichte also gerade so die nötige 2/3-Mehrheit. Damit kann die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) kein Randgruppenthema mehr sein; nicht nur Piraten, sondern auch andere Parteien werden sich ernsthaft damit befassen müssen.
Mir persönlich wäre der Antrag PA162 lieber gewesen; er ist direkter. PA162 fiel jedoch bereits bei der Vorabstimmung darüber, welcher Antrag behandelt und abgestimmt werden sollte, raus. Aber lieber so als gar nicht.
Das Argument, dann werde ja keiner mehr arbeiten wollen, fiel auch, und ich finde es fast schon peinlich, daß dieses neoliberale Schein-Argument von Piraten verwendet wird. Wer so argumentiert, ist nämlich dem alten Denken verhaftet, daß ein Mensch, der existieren will, gefälligst (!) zu arbeiten habe. Dabei zählen nur jene Tätigkeiten als „gefällige Arbeit“, die von einem anderen bezahlt werden; was nicht bezahlt wird, ist dann eben Hobby und generell unwichtig. Dieses alte Denken kann gerade, wenn der Mensch und seine Freiheit im Mittelpunkt stehen soll, nicht piratig sein. Ich fordere diese Piraten dazu auf, ihre Position noch einmal zu überdenken. Oder, um es sinngemäß mit einem Tweet zu sagen (den ich leider nicht mehr finden kann): Wer bezahlt Euch eigentlich dafür, den Parteitag zu besuchen? Oder ist das keine Arbeit? 🙂
Die Anträge zu Hartz IV habe ich nicht verfolgt, habe mich aber offenbar zu Recht darauf verlassen, daß die Piraten hier auch in meinem Sinne entscheiden würden (was der Fall war). Denn nach der umfangreichen BGE-Diskussion brauchte ich erst einmal eine Pause. Hilfreich wäre es übrigens gewesen, wenn die Gespräche im Saal etwas leiser geführt worden wären. Zeitweise war es so laut geworden, daß ich die Reden an den Mikrofonen und die Ansagen von der Bühne nicht mehr rausfiltern konnte. Ich habe sie zwar gehört, aber manchmal echt nichts mehr verstanden.
Draußen mußte ich dann schnell feststellen, daß die Preise insbesondere für die warmen Mahlzeiten recht hoch waren. Eine Portion Pommes kostete 2,50 €, ein paar Hackbällchen mit Nudeln und Gemüse 4,50 € und eine Portion Erbsensuppe 4,00 € – letztere war die einzige Möglichkeit für Vegetarier, etwas Warmes zu bekommen; Veganer blieben vermutlich außen vor. Ich bin beides nicht, aber es wäre schon zu erwarten gewesen, daß Vegetarier/Veganer berücksichtigt werden. Die Getränkepreise waren im Rahmen, nur die Mate war mit 2,50 € pro 0,33 l recht teuer. Das wurde erst am zweiten Tag korrigiert, da kostete der Becher Mate dann nur noch 1,50 €.
Was gab's sonst noch, was ich wichtig fand? Da war zum Beispiel noch der Antrag zur Trennung von Staat und Religion, und auch hier vermißte ich bei einigen Piraten schmerzlich sowas wie Ahnung. Mehrfach wurde behauptet, wenn man den Kirchen keine Kirchensteuer mehr gönne, dann würden ganz viele Kindergärten etc. zugemacht – hallo? Informiert Euch doch bitte mal darüber, wie die kirchlichen Kindergärten finanziert werden! (Die Website bietet in der Richtung noch mehr Material, leider skaliert sie schlecht und hat eine sehr kleine Schrift.)
Dann gab es da noch die Anträge, die Zwangsmitgliedschaft in den Kammern zu beenden. Während ein Antrag kompromißlos alle Zwangsmitgliedschaften beenden wollte, brachten andere Ausnahmen ein, zum Beispiel Ärztekammern. Die meisten (und dazu gehöre ich durchaus auch, ich war mal selbst betroffen) störten sich an der Zwangsmitgliedschaft von Gewerbetreibenden in der IHK. Gefragt wurde unter anderem, wie die Kammern denn sonst an ihre Beiträge kommen sollten. Ähm, ja. Das erinnert mich so ein bißchen ans Leistungsschutzrecht für Verlage. Selbstverständlich hätten die Kammern die Möglichkeit, um Mitglieder zu werben, indem sie Service und Qualitätsmerkmale bzw. Siegel bieten; und wenn sich das für die angesprochenen Unternehmer und Betriebe lohnt, dann werden sie sicher auch gerne Beiträge bezahlen.
Als ich mein Schreibbüro noch hatte, war ich auch Zwangsmitglied in der IHK. Bezahlt habe ich nie was, und sie haben es auch nie eingetrieben. Die einzige „Leistung“, die ich gesehen habe, war die monatliche Zeitschrift, in der Artikel drinstanden, die mich nicht interessierten und die teilweise sogar gegen meine Interessen gerichtet waren; dazu wurden noch Kurse angeboten, die außerhalb meiner Interessen lagen und für mich auch gar nicht bezahlbar gewesen wären. So begeistert man die Unternehmer nicht gerade für eine Mitgliedschaft, und dann braucht es natürlich Zwang, um an Beitragszahler zu kommen.
Das letzte große Diskussionsthema am zweiten Tag war die Reform des Urheberrechts. Dieser Antrag war deshalb so wichtig, weil das Thema Urheberrecht überhaupt erst zur Gründung der Piratenpartei geführt hat. Bis gestern konnten jedoch auf entsprechende Nachfragen keine klaren Antworten gegeben werden, wie sich die Piraten ein zukunftsfähiges und gerechtes Urheberrecht vorstellen. Das hat sich mit PA184 PA149 (danke an @scampy_joe für die Korrektur) grundlegend geändert. An diesem Antrag hat der Antragsteller zusammen mit vielen Künstlern aus diversen Bereichen sowie anderen Fachleuten ein halbes Jahr lang intensiv gearbeitet, und das merkt man auch.
Sehr beeindruckend war schließlich die Ansprache der Vertreterin der russischen Piratenpartei, Lola Voronina. Sie nannte die deutsche Piratenpartei das „Flaggschiff der Freiheitskämpfer“ und erntete mit ihrer Rede stürmischen Applaus und standing ovations.
Abseits von Diskussionen, langen Rednerlisten, GO- und TO-Anträgen sowie den Abstimmungen habe ich, auch wenn die Zeit oft knapp war, noch ein paar nette Leute (wieder)getroffen: @ennomane, @irm_tw, @HorayNarea, @herrurbach (der mir ein Stück Kuchen ausgab, weil ich ihn beim #bpt11.1 in Heidenheim, wo er als einziger Wahlleiter ständig präsent sein mußte, mit Essen vom Futterstand versorgt hatte), @DasDodo, die mir einfach so eine Mate spendierte (danke nochmal), @forschungstorte sowieso ;-), @tazjin, der mir am zweiten Tag gegenüber saß, @beandev bzw. +Aljoscha Rittner, den ich immer nur von weitem sah ;-), @tauss sowie meinen Übernachtungs-Gastgeber vom #bpt11.1. (Hab ich wen vergessen?)
Ein großes Dankeschön geht an die Orga, das meiste lief klasse. Einziger Kritikpunkt für mich ist die Größe der Halle. Wenn stimmberechtigte Piraten draußen bleiben müssen, weil in die Halle aus Brandschutzgründen nicht mehr Leute reindürfen, dann war sie eindeutig zu klein. Das merkte man übrigens auch am überfüllten Parkplatz.
Über LAN und WLAN kann ich nicht viel sagen; am ersten Tag saß ich an einem Tisch sehr weit hinten ohne Switch und kam gar nicht ans LAN heran, während ich über Twitter mitbekam, daß das WLAN immer wieder fast kompletten packet loss hatte; ich benutzte meinen UMTS-Stick und hatte eine Verbindung, die stabil blieb, solange ich keine größeren Datenmengen durchschaufelte. Nachdem ich vom Twitter-Webinterface auf den bitlbee auf meinem Server gewechselt war, hatte ich durchgehend Netz mit hoher Latenz (um 500 ms).
Am zweiten Tag wählte ich mich erst bei UMTS ein, aber dann brach kurz darauf dauerhaft die E-Plus-Funkzelle komplett weg. Super, E-Plus, die 3 € müßte ich eigentlich zurückfordern. Bei WLAN und LAN passierte mir das gleiche: Ich bekam eine IP und einen Nameserver zugeteilt, konnte aber nur Rechner aus demselben Segment pingen, schon der ping an die IP des Nameservers wurde nicht beantwortet, und auch nach draußen kam ich nicht, auch nicht mit IP-Adressen statt Hostnamen als Ziel. Da andere im jeweils selben Segment keine derartigen Probleme hatten und bei mir zwei unterschiedliche Hardware-Devices betroffen waren, muß ich davon ausgehen, daß mein Notebook ein Problem hat. Das werde ich mir aber mal noch ansehen.
Und dann geht noch ein Dankeschön an meinen Übernachtungs-Gastgeber in Frankfurt und den jungen Mann, der mich im Auto mitgenommen hatte, weil es trotz BahnCard 50 diesmal nicht für ein Bahnticket gereicht hat, und natürlich erst recht nicht für ein Hotel.
6. Dezember 2011 at 21:14
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21. Dezember 2011 at 20:24
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