Wildwest im Internet
6. Februar 2012 um 21:49 Uhr von Atari-Frosch
Unser ach so geliebter Bundesinnenminister meint, die Angriffe gegen Ansgar Heveling seien Wildwest-Methoden. Er meint also, man könne gegenüber einer doch nicht ganz so kleinen Gruppe der Gesellschaft eine Kriegserklärung abgeben und dürfe sich dann darüber wundern, daß sie von kleinen Teilen der Angegriffenen tatsächlich angenommen wird. Aha.
Zunächst mal geht Friedrich wohl davon aus, daß die internet-affinen Bürger es mit Kritik genauso halten sollten wie er selbst: Ignorieren und aussitzen. Auf Google+ hat er es nicht geschafft, sich selbst mit noch so sachlich gehaltener Kritik auseinanderzusetzen. Mittlerweile antwortet er dort auf die Kommentare überhaupt nicht mehr. Er nutzt die Plattform nur noch dazu, seine Pressemitteilungen raushauen zu lassen, gelegentlich noch verziert mit positiven Zeitungsartikeln. Die kritischen läßt er natürlich weg und reagiert auch nicht drauf, wenn man sie ihm bzw. demjenigen, der seinen Account betreut, unter die Nase hält.
So funktioniert das aber in den „sozialen Medien“, in dem von Heveling so hart attackierten „Web 2.0“ gerade nicht. Wer da was rausläßt, erwartet Feedback bzw. muß sich auf welches einstellen. Und er muß darauf gefaßt sein, daß dieses Feedback nicht ausschließlich positiv ist. Ja, daß es sogar ganz überwiegend bis ausschließlich negativ sein kann. Dat isso. Darauf sollte man eingerichtet sein und dann in der Lage sein, seine Thesen zu verteidigen – oder die Größe besitzen, einzugestehen, daß man Müll verzapft hat. Aber diese Größe haben weder Heveling noch Friedrich.
Dabei ist es gar nicht so einfach, sich mit jemandem auseinanderzusetzen, der eigentlich gar keine Argumente hat. Frank Rieger hat es trotzdem gemacht, ein paar weitere Leute haben es ebenfalls versucht. Ansgar Heveling ficht das jedoch nicht an. Ernsthafte Kritik ignoriert er. Stattdessen ist die einzige Kritikform, die er wahrnimmt, die, daß man ihm seine Website, ähm, verschönert hat und erklärt dann, sämtliche Kritik sei voraussehbar gewesen. Auch eine Methode.
Hans-Peter Friedrich geht noch einen Schritt weiter. Er meint, Heveling habe ja nur „eine andere Meinung“ geäußert. Aber so funktioniert das mit dem Diskurs: Meinungen werden ausgetauscht, der eine hört dem anderen zu und sagt dann seine. Aber Heveling wollte dem Netz gar nicht zuhören. Vielmehr hat er wohl lieber der Musikindustrie zugehört, bei der er – sieh an – genau an dem Wochenende zu Gast war, als sein Pamphlet veröffentlicht wurde. Fällt so gar nicht auf, was? Wen vertritt der Bundestagsabgeordnete Heveling eigentlich wirklich im Bundestag und in der Internet-Enquete? Und was meint Hans-Peter Friedrich dazu?
Friedrich regte sich weiterhin darüber auf, daß Hevelings Website „angegriffen“ wurde. Ich muß Defacing-Aktionen nicht gutheißen, aber wissen Sie, Herr Friedrich, das ist ungefähr so, wie wenn Sie Ihr Auto auf einem Gehweg parken. Da kann es schonmal passieren, daß ein Fußgänger seinen Schlüsselbund herausholt und einen langen Streifen im Lack hinterläßt. Das ist verboten und Sachbeschädigung. Nur: Als Doofparker muß man trotzdem damit rechnen. Genauso muß man damit rechnen, daß die eigene Website angegriffen wird, wenn man „dem Netz“ dumm kommt. Und Ansgar Heveling ist dem Netz extrem dumm gekommen. Mich wundert eher, daß es nur relativ leichte Veränderungen gab und man ihm den Webspace (auch noch beim Billig-Hoster Strato) nicht komplett plattgemacht hat. Für das primitive Paßwort muß er sich noch zusätzlich auslachen lassen; so dumm kann man doch eigentlich gar nicht sein!
Das Defacing bringt Friedrich dann auch noch mit Demokratie in Verbindung. Eine Erklärung dazu, was das eine mit dem anderen zu tun hat, bleibt er schuldig. Demokratie heißt, daß das Volk der Souverän ist und seine gewählten Vertreter ihm zuhören. Das haben aber weder Heveling noch Friedrich im Sinn. Sie hören nur Partikularinteressen zu, und der Souverän geht ihnen am Allerwertesten vorbei; der ist nur noch als Wahlvieh interessant. Darüber, daß dann ab und zu mal mit faulen Tomaten geworfen wird, muß man sich als ignoranter Politiker in verantwortlicher Position dann wirklich nicht mehr wundern. Im Netz gibt es statt fauler Tomaten eben Defacings – mindestens dann, wenn die eigene Website so schlecht abgesichert ist, daß da jeder Grundschüler reinspazieren kann.
Heveling handelte mit seiner Publikation entweder gegen besseres Wissen, oder er ist tatsächlich völlig unwissend, und dann sollte er sein Mandat aber wirklich ganz schnell zurückgeben. Mindestens solange, bis er weiß, wovon er eigentlich redet. Er bringt nämlich keinerlei Argumente vor. Er spricht zwar davon, daß das „Web 2.0 […] das Zeug zum Destruktiven“ habe. Aber warum? Wo wird etwas zerstört? Darüber verliert er kein Wort. Sachargumente haben zwischen seiner ganzen Kriegsrhetorik keinen Platz gefunden.
Was wird zum Beispiel damit zerstört, daß sich Leute besser vernetzen können? Die Diktaturen in diversen arabischen Ländern zum Beispiel – hätte er die lieber behalten? Schon richtig, mit Diktatoren kann man besser Geschäfte machen als mit den ach so langsam entscheidenden Demokratien. Dürfen sie deshalb nicht mithilfe der Vernetzung im Mitmach-Web zerstört werden?
Aber das ist nicht Hevelings Thema. Er stört sich nicht einmal daran, daß diese Vernetzung und die damit einhergehende größere politische und wirtschaftliche Transparenz den ein oder anderen Korruptions- oder Plagiatsfall aufgedeckt hat. Stattdessen meint er offensichtlich die Vertriebsmethoden der Musikindustrie. Die gehen mit dem Internet nach und nach den Bach runter – und das ist auch gut so. Heveling hat sich vermutlich einreden lassen, daß damit den Urhebern geschadet würde. Dabei wissen wir schon lange, daß die Vertriebsfirmen trotz allem Geheule den großen Reibach machen (siehe insbesondere die Broschüre Mythos Raubkopie vom Open Music Contest e. V.). Von den Künstlern schaffen es nur wenige, von ihren Werken zu leben, und nur eine verschwindend geringe Anzahl wird richtig reich damit.
Während Heveling also meint, mit den Internet-Usern eine Minderheit unter den Bürgern anzusprechen (bei über 50 % Internetnutzung in Deutschland!), vertritt er tatsächlich eine Minderheit. Eine sehr reiche Minderheit. Und da wird's interessant. Es stellt sich nämlich die Frage: Wieviel von Hevelings Artikel ist gekauft? Und warum findet Hans-Peter Friedrich das so gut?
Achja: Und wer bedient sich jetzt tatsächlich Wildwest-Methoden, also einfach alles mit weiterer Null-Argumentation wegballern, was einem (oder dem Herrn, dem man dient) nicht paßt?
7. Februar 2012 at 3:16
Super Kommentar!
Danke dafür! 🙂