Bundespräsidenten- äh … Wahl
21. Februar 2012 um 20:15 Uhr von Atari-Frosch
Nach dem längst überfälligen Rücktritt von Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten soll die Bundesversammlung voraussichtlich am 18. März einen neuen Bundespräsidenten wählen. Offiziell können die Parteien in der Bundesversammlung, jede für sich, einen Vorschlag machen, und dann wird frei gewählt. Die Abgeordneten der Bundesversammlung sind dabei in ihrer Wahl genauso frei wie in ihren jeweiligen Parlamenten. Offiziell.
Was aber passiert da gerade wirklich?
Statt eine echte Wahl zu ermöglichen, „einigen“ sich CDU/CSU, FDP, SPD und Die Grünen (die Partei Die Linke wurde nicht gefragt) auf einen gemeinsamen Kandidaten. Das ist das erste, was in der Sache stört. Daß dieser gemeinsame Kandidat dann auch nicht so ganz unumstritten ist, ist noch ein anderes Thema, aber darum geht es mir hier nicht.
Wenn sich nahezu alle Parteien auf einen bestimmten Kandidaten einigen und diese, weil sie sich darauf verlassen, daß alle oder nahezu alle ihre Abgeordneten sich dem (meiner Ansicht nach grundgesetzwidrigen) Fraktionszwang beugen – ist das dann noch eine Wahl? Ich halte das eher für eine Farce. Denn es ist jetzt schon abzusehen, daß unter diesen Umständen ein Gegenkandidat der Linken oder der Piratenpartei nicht den Hauch einer Chance hat, gewählt zu werden.
Bislang kenne ich das so nur von der CDU, die mit der Demokratie so ihre Probleme hat. In dieser Partei mag man bei Wahlen ja keine Gegenkandidaten, weil das so unbequem ist. Daß sich jedoch die meisten anderen im Bundestag vertretenen Parteien darauf einlassen, ist beschämend für unsere Demokratie. Zwar wehren sich wohl einige Grüne Abgeordnete gegen den „Konsens-Kandidaten“ Gauck, aber ob sich das im Wahlergebnis auswirkt, bezweifle ich.
Warum haben die einzelnen Parteien nicht den Arsch in der Hose, jeweils einen Kandidaten aufzustellen, damit das eine richtige Wahl wird? Warum haben die Altparteien nicht den Arsch in der Hose, jedem ihrer Abgeordneten die echte freie Wahl zu lassen, ohne im schlimmsten Fall mit Parteiausschluß zu drohen? Damit hätten wir nicht nur eine demokratischere Wahl des Bundespräsidenten. Vielmehr würde den Bürgern und Wählern damit nicht mehr der Eindruck vermittelt, daß „alternativlose“ Kandidaten hinter verschlossenen Türen ausgeklüngelt werden und der Rest dann bitteschön diese Wahl einiger Weniger abzunicken hat.
Ich nenne das dann eine „demokratischere“ Wahl, denn eine echte demokratische Wahl eines Staatsoberhauptes, der alle vertreten soll, ist meiner Ansicht nach nur durch eine Direktwahl durch alle Wahlberechtigten möglich, nicht mit einer Wahl durch gewählte Abgeordnete. Schon gar nicht, wenn man den „Fraktionszwang“ einkalkulieren muß.
[Update 2012-02-21 21:18] Oh, und so richtig teuer wird dieses Abnicken auch noch. (via +Hans Carlos Hoffmann) [/Update]
21. Februar 2012 at 20:34
Fraktionszwang gibt es (offiziell) nicht – im Gegenteil; diese ist sogar verboten. Jeder Abgeordnete ist nur seinem Gewissen verpflichtet. Dass es in der Praxis natürlich anders gehandhabt wird und es keine entsprechenden Sanktionen gegen die Aufforderung (oder die Androhung von Folgen) gibt, erschliesst sich meinem Politikverständnis auch nicht. Ich halte aus diesem, aber auch aus anderen Gründen das gesamte Parteiensystem bei uns auch nicht für eine Demokratie, sondern eine Demokratur.
21. Februar 2012 at 21:36
Daß sich mehrere Parteien auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen, halte ich gar nicht für so schlimm. Doof wird es nur, wenn dann nur noch ein einziger Kandidat zur Wahl steht – zwei sollten es in einer Demokratie mindestens sein.
Wenn jede Partei ihren eigenen Kandidaten aufstellt, dann haben wir bei aktuellen Mehrheitsverhältnissen – wenn man mal annimmt, daß der größte Teil der Wahlleute einer Partei auch tatsächlich den Kandidaten der Partei wählt – immer einen Unionspräsidenten. (Sogar, wenn zum Beispiel SPD und Grüne in einem späteren Wahlgang gemeinsam für einen Nichtunionskandidaten stimmen sollten.)
Kandidatenvorschläge und eine Direktwahl durch das Volk wäre natürlich am sympathischsten. (Hmmm, dann hätten wir ja wieder einen »BILDpräsidenten« …) Allerdings sind diese Komplexität und Kosten nicht bei der Unbedeutendheit des Amtes des Bundespräsidenten zu rechtfertigen.
Am naheliegendsten fände ich, das Amt des Bundespräsidenten abzuschaffen und seine wenigen Funktionen auf andere, bestehende, demokratisch gewählte Entitäten (Parlamente bzw. durch sie legitimierte Vertreter wie Bundeskanzler, Bundestagspräsident; Bundesverfassungsgericht) zu übertragen.