Nimmt der Mißbrauch wirklich zu?
16. Mai 2012 um 12:39 Uhr von Atari-Frosch
Schlimm genug, wenn es wahr wäre. Aber so, wie die Tagesschau heute, bezogen auf die Kriminalstatistik, über sexuellen Kindesmißbrauch berichtet, kann sie ihre Überschrift Sexueller Missbrauch von Kindern nimmt zu nicht begründen.
Zunächst heißt es zwar:
Die erfassten Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern haben im vergangenen Jahr zugenommen. Die Zahl erhöhte sich um 4,9 Prozent auf 12.444 Taten.
Dann jedoch geht es in die Details:
Drastisch zugenommen haben demnach der Besitz und die Beschaffung von Kinderpornografie. Hier sei ein Plus von 23,3 Prozent auf 3896 Fälle registriert worden. Dagegen habe die Verbreitung pornografischer Schriften insgesamt um 0,6 Prozent auf 8724 Fälle abgenommen.
Der Besitz und die Beschaffung von Kindesmißbrauchsdarstellungen hat also zugenommen. Daraus kann man nun nicht ableiten, daß auch tatsächlich mehr Kinder zu Opfern geworden sind. Daß der Hardliner Friedrich sowas verschweigt, weil er ja unbedingt Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung und generell viel mehr Überwachung haben will, kann ich ja noch einordnen, das kennen wir von ihm. Daß die Tagesschau aber darauf anspringt und dann vor allem so eine reißerische Überschrift drübersetzt, ist ein Armutszeugnis.
Aber selbst, wenn mehr tatsächliche Mißbrauchstaten (und nicht nur die Verbreitung von Aufzeichnungen vergangener Taten) angezeigt worden sein sollten, heißt das nicht automatisch, daß auch mehr begangen wurden. Es heißt nur das, was es heißt: Es wurden mehr angezeigt. Es kann auch heißen, daß immer mehr Opfer aus dem Bereich der „Dunkelziffern“ heraustreten. Aber darauf geht der Artikel in der Tagesschau schon gar nicht mehr ein.
Der Verdacht, daß Mißbrauchsopfer hier erneut mißbraucht werden sollen, um Überwachungsmaßnahmen und Zensur gegen alle durchzusetzen, liegt da schon nahe. Traurig, daß die Tagesschau auf den Zug mit aufspringt, ohne die Zahlen genauer zu erklären.
(Und warum die Kriminalstatistik der Springerpresse offensichtlich vor ihrer Veröffentlichung vorliegt und der Tagesschau nicht, sodaß sich die Tagesschau und andere Medien auf die Springerpresse berufen müssen, muß ich wohl auch mal wieder nicht verstehen.)
16. Mai 2012 at 12:50
Guck mal hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Sexueller_Missbrauch#Deutschland
Die Zahlen (gemessen am einzig validen Maßstab Erfasste Fälle pro 100.000 Einwohner) stagnieren. Es sind Schwankungen da, aber die Werte von 1992 und 2009 sind identisch.
Die gemessen am Wert von ~ 60 Fällen je 100.000 Einwohner minimalen Schwankungen können schon auf Ermittlungsergebnisse der Kripo zurückzuführen sein: „In den Fallzahlen sind dabei alle Fälle von Straftaten nach dem 13. Abschnitt des StGB erfasst. Dazu zählen auch die Verbreitung von pornographischen Schriften“. Wenn also ein Kinderpornoring geknackt wird, kann sich das in der Statistik schon niederschlagen.
Ansonsten laden die zwangsläufigen Schwankungen genauso zu bewussten Fehlinterpretationen ein, wie ein kalter Sommer den Klimaskeptikern „beweist“, dass die globale Erwärmung nicht existiert.
16. Mai 2012 at 12:51
Ganz kurz aus dem Gedächtnis: Ich hab noch was von 15.000 Fällen von sexuellem Mißbrauch an Kindern pro Jahr in Erinnerung (aus der Zeit von um 2000). Also müsste die Zahl eigentlich deutlich zurückgegangen sein.
16. Mai 2012 at 12:58
@VolkerK Danke, genau das meinte ich. Ich war nur ein wenig zu faul, noch nach einem Link zu suchen. 😉
16. Mai 2012 at 14:17
Da ich mal vor einiger Zeit ein längeres Praktikum in dem Bereich gemacht habe, kann ich nur bestätigen, was ihr schon gesagt habt: Die Zahlen stagnieren – bzw. wenn man sie in den letzten 50 Jahren betrachtet, geht die Zahl deutlich zurück.
Und noch was anderes: Länder in denen ein hohes Strafmaß existiert, wie z.B. in den USA haben eine viel höhere Zahl von Missbrauchsfällen, als z.B. Deutschland oder Schweden, die weniger mit Strafe & Überwachung arbeiten, als viel mehr mit Therapie und Wiedereingliederung. Das bedeutet zwar nicht => Hohe Strafen = Mehr Kriminalität. Aber zumindest kann man daraus schon ableiten, dass eine zu erwartende hohe Strafe die Täter nicht von der Tat abhält.
Und deswegen würde ich jetzt mal vermuten, dass die Vorratsdatenspeicherung in Bezug auf Kinderpornographie, wenn überhaupt, nur was bringt die Täter schneller zu fassen, jedoch keine Auswirkungen darauf hat, dass sie es weniger tun…..
17. Mai 2012 at 23:49
Hei,
naja, wenn man sie wirklich schneller finden könnte, wäre Missbrauch an Kindern auf jeden Fall etwas wofür ich meine persönliche Freiheit etwas aufgeben würde.
Also wenn es da einen deutlichen zusammenhang gäbe.
Jedes nicht Missbrauchte Kind ist doch ein Gewinn, der durch nichts aufzuwägen ist.
19. Mai 2012 at 12:28
@Markus: Du argumentierst wie der komische Verein „Innocence in Danger”. Leider unterschlägst Du dabei einiges an Informationen. Zunächst einmal: „Wenn auch nur ein Kind …!” (und achte mal darauf, von wem das ist!). Zwar geht es bei Mogis um die Internetsperren, aber das läßt sich genauso auf die Vorratsdatenspeicherung übertragen, denn das Grundargument ist dasselbe: Können wir damit auch nur ein Kind retten, dann nehmen wir Grundrechtseinschränkungen für alle gerne in Kauf.
Zudem: Wer geheim kommunizieren will, kann das auch mit VDS tun. Es gibt Briefpost — sollen wir die auch überwachen? Wer schickt wem wie häufig und von welcher Poststelle aus was für Sendungen? Sind da vielleicht Datenträger drin? Wäre das dann auch in Deinem Sinne?
Was gerne übersehen wird: Die meisten Fälle von sexuellem Kindesmißbrauch finden im Familienumfeld statt. Wo hilft hier ein Verzicht aller auf grundgesetzlich garantierte Freiheiten?
Ansonsten haben ich und andere darüber eigentlich schon mehr als genug geschrieben. Hier im Blog:
Bei anderen insbesondere: 27.01.2012 Spiegel Online: Studie stellt Sinn von Vorratsdaten in Frage
Weitere Argumente finden sich beim AK Vorrat, das muß ich hier nun nicht alles wiederkäuen.
26. Mai 2012 at 13:07
Hei,
ich bin dagegen, dass der Zweck – ein Kind zu Retten – die Mittel heiligt.
Ich bin natürlich gegen VDS usw. – also ausser es würde sich herausstellen, dass es signifikante Erfolge gäbe.
Ich finde nur dass in deinem Artikel ein ächtendes Element fehlt. Natürlich muss man darüber Diskuttieren ob das Zugenommen hat oder nicht. Aber es ist weiterhin etwas dem man nachgehen sollte. Leider neigen Menschen dazu – wenn sie so etwas wie diesen Artikel lesen – sich zurück zu lehnen, „dann ist ja alles in Ordnung“.
26. Mai 2012 at 13:24
@Markus Ach Du meinst so in der Art eines Disclaimers, „ich distanziere mich von X und Y und von Z sowieso” und das am besten jedesmal, wenn ich was zum Thema schreibe? Sorry, das halte ich für Unsinn. Ich muß mich nicht ständig distanzieren, um nachzuweisen, daß ich auch auf gar keinen Fall auf irgend eine Art und Weise etwas unterstützen oder gutheißen möchte. Sonst müßte ich vermutlich jeden Blogpost mit mehreren Bildschirmseiten voller Distanzierungen einleiten.