Aufschrei
25. Januar 2013 um 4:53 Uhr von Atari-Frosch
Gerade, leider mitten in der Nacht, geht ein Hashtag #aufschrei über Twitter. (Überwiegend) Frauen berichten in 140 Zeichen, was ihnen schon an sexueller Belästigung widerfahren ist, ohne daß sie ernstgenommen wurden oder Hilfe bekamen. Und ein paar Trolle nehmen das „natürlich” zum Anlaß, die Erlebnisse herunterzuspielen und den #aufschrei damit noch zu verstärken.
Mir fielen da auch noch so ein paar Erlebnisse ein, nachdem ich die Timeline des Hashtags ein Stück weit verfolgt hatte. Erlebnisse, die ich teilweise tatsächlich zurückgedängt habe, weil das in den meisten Fällen einfach von mir erwartet wurde oder ich zumindest den Eindruck vermittelt bekam, daß ich „nicht so ein Geschiß” draus machen sollte. (Achtung, nachfolgende Beispiele können triggern!)
@AtariFrosch
Die Männer, die mir als 13jähriger im Schwimmbad unter Wasser an die Brust und zwischen die Beine griffen. #aufschrei
Ich war damals eigentlich gern ins Freibad gegangen. Es war auch nicht weit, nur über einen etwa 600 Meter langen Platz, dann noch ein Stück am Zaun entlang, insgesamt wohl weniger als ein Kilometer. Und ich tauchte gern, auch wenn ich es nicht wirklich konnte. Ich mußte mir nämlich jedesmal die Nase zuhalten, sonst hatte ich das Chlorwasser immer irgendwie in den Atemwegen. Und die Augen konnte ich dabei auch nicht offenhalten, weil das Zeug so brannte. Taucherbrillen halfen wenig, die waren nie wirklich dicht. Und die einzige, die mal wirklich dicht war, wurde mir dann auch prompt geklaut. Also tauchte ich immer wieder blind und mit einer Hand an der Nase im ca. 1,5 m tiefen Nichtschwimmerbecken nach einem flachen Stein, den ich mir irgendwo mal aufgesammelt hatte.
Das beobachteten offenbar ein paar junge kräftige Kerle, die ich auf 20 bis 25 Jahre schätzte. Sie tauchten immer wieder heran und versuchten dann, bevorzugt zwischen meine Beine zu greifen. Wenn ich sie doch mal sah, weil ich früher wieder hochgekommen war, als sie geschätzt hatten, nahm ich beide Hände zusammen wie beim „beten” und hieb ihnen damit auf die Wirbelsäule. Da war das Geschrei groß und ich die Böse.
Und das geschah nicht nur einmal. Zwei oder drei Sommer lang, in denen ich regelmäßig vor allem in den Ferien schwimmen ging, ging das so. Ich fühlte mich nie mehr wirklich wohl in diesem Schwimmbad, sah mich jedesmal um, ob wieder solche Grapscher am oder im Becken unterwegs waren. Zum Glück übertrug sich das nicht auf andere Schwimmbäder.
Reaktion aus dem Umfeld incl. Eltern: Paß halt besser auf und geh denen aus dem Weg. Achja, kaum erwähnenswert, daß man als junges Mädchen in diesem Freibad besser keinen Bikini trug, wenn man die Hose oder das Oberteil nicht „verlieren“ wollte. Ich hatte fast immer einen Badeanzug an.
Nach der Schulzeit ging ich auch noch vereinzelt dort schwimmen, aber nicht mehr nachmittags, sondern früh morgens für ein paar Bahnen. Die Rentner, die da zur selben Zeit üblicherweise anwesend waren, zeigten keine Ambitionen, mir an die Wäsche zu wollen, und ich hatte Ruhe.
@AtariFrosch
Der Sportlehrer (Jungen), der sagte, sie sollten die Beine breit machen, das würden sie ja von ihren Frauen später auch verlangen #aufschrei
Das war im kaufmännischen Berufskolleg gewesen. Die Jungs der Klasse hatten das nach einer Sportstunde empört erzählt, und es gab kurzfristig deswegen einiges an Aufregung. Ich kann mich allerdings nicht daran erinnern, daß dem Lehrer irgendwas passiert wäre.
@AtariFrosch
Der Typ, der eine 8jährige in einen Keller lockte, sich die Hose runterzog und versuchte sie auszuziehen. Nachbar kam dazwischen. #aufschrei
Das war 1982 im Umfeld unseres Hinterhofs geschehen. Das betroffene Mädchen (nicht ich, ich war da schon etwas älter) konnte tagelang gar nicht über den Vorfall reden. Der Täter war uns vorher seit Jahren bekannt gewesen. Er hatte sie unter dem Vorwand, sie möge ihm doch bitte bei einer Fahrradreparatur helfen, in den Keller gelockt und ihr dann eine Tafel Schokolade angeboten, wenn sie sich ausziehe. Als sie dann reden konnte, ging die Sache zur Polizei, es wurde lang und breit eine Anzeige aufgenommen – von der dann hinterher nichts mehr zu hören gewesen war. Eine Anklage hatte es offenbar nie gegeben.
@AtariFrosch
Die komplett männliche IT-Abteilung, in der über die körperlichen Eigenschaften von Frauen anderer Abteilungen gelästert wurde. #aufschrei
Das war in der Zeit gewesen, als ich nach der Umschulung zur Netzwerkadministratorin einen Job suchte, also Ende der 90er. Als Berufsanfängerin. Als Frau. Mehr als einmal hatte ich bei Vorstellungsgesprächen deutlich das Gefühl gehabt, man wollte mich von vornherein gar nicht einstellen, sondern sich nur mal „die Frau angucken, die behauptet, Computer zu können”. Das ging ja auch ganz unverbindlich, denn „selbstverständlich“ wurden nie die Fahrtkosten zum Vorstellungsgespräch bezahlt, selbst wenn ich 40, 60 oder 80 km weit fahren mußte, um hinzukommen.
Aber der Gipfel war echt diese Telekommunikationsfirma in Eschborn bei Frankfurt gewesen. Ich war über einen „Vermittler“ dahingekommen, mein Status war offiziell der einer Selbständigen (heute würde man Freelancer sagen), allerdings war ich das nur auf dem Papier. Der Vermittler sagte, wo ich wann zu arbeiten hatte und verdiente vermutlich nicht schlecht an der Provision. Das heißt, eigentlich war ich Leasingkraft.
In dieser IT-Abteilung war ich die einzige Frau gewesen. Es verging keine Stunde, in der nicht irgendeine behämmerte Bemerkung unter der Gürtellinie über eine der Frauen aus den Nachbarabteilungen gemacht wurde. Natürlich ging es immer gegen Frauen, die gerade nicht in Sichtweite waren. Ich habe die Vorstellung verdrängt, was sie über mich erzählten, wenn ich mal nicht im Raum war. Eine Arbeit wurde mir auch nicht zugewiesen; offenbar gingen die Herren davon aus, daß eine Frau das alles sowieso nicht können kann. Ich saß da also eine Woche lang rum, hörte mir das dumme Gelaber an, und erfuhr dann, daß man dann doch lieber einen Mann reinholen würde. Ich bin sicher, sie haben einen Sexisten gefunden, der besser in die Abteilung paßte als ich.
Achja, davor war da noch ...
@AtariFrosch
Der Vermieter, der erklärte, ich müsse ihm für eine günstige Miete schon mal gelegentlich einen "Gefallen" tun. #aufschrei
Das war, als ich mir mit 18 oder 19 die erste Wohnung suchen wollte. Der Typ meinte, die günstige Miete ginge nur, wenn ich ihm, wie gesagt, hin und wieder „zu Gefallen“ wäre. Und daß ich mich dann in der Wohnung (eigentlich: WG) bitteschön auch sexy kleiden sollte. Auf die Wohnung bzw. Wohngelegenheit konnte ich dann auch gut verzichten. – Wie ich so höre, ist die Masche heute durchaus immer noch in Mode.
Und ...
@AtariFrosch
Der Unternehmer, der mir am Telefon erklärte, daß ich bei Veranstaltungen mit seinen Geschäftspartnern ins Bett zu steigen hätte. #aufschrei
Der Typ wollte mich für sexuelle Dienstleistungen einstellen und war dann erstmal noch zu feige, das klar zu sagen. Ich hatte nach dem Ende meiner ersten Ausbildung als Justizangestellte zunächst vergeblich nach einer Arbeitsstelle gesucht. Natürlich hatte ich Bewerbungen geschrieben, dutzendweise sogar. Zusätzlich hatte ich aber auch in der regionalen Anzeigenzeitung eine Anzeige geschaltet, kostete ja nix. Auf diese Anzeige hin hatte mich dieser Vogel zweimal angerufen. Er nannte nie seinen Namen und redete ziemlich um den heißen Brei herum. Ja, es sei ja schön, daß ich schnell Maschineschreiben könne, aber darauf käme es gar nicht so an. Es sei wichtiger, daß ich eine Frau bin. Ich hakte hartnäckig nach, und endlich, im zweiten Gespräch, rückte er raus damit: Er brauchte eine Frau, die er bei geschäftlichen Treffen, Kongressen etc. seinen Geschäftspartnern ins Bett mitgeben konnte, damit die lieber mit ihm als mit der Konkurrenz Geschäfte machen. Ich glaube, ich will gar nicht wissen, was das für eine Branche war.
[Update 2012-01-25 16:50] Einen hatte ich noch vergessen:
@AtariFrosch
Die Busfahrer, die beim Betriebsausflug gezielt die jungen weiblichen Azubis für einen Fick zwischendurch ansprachen. #aufschrei
Das war während meiner Ausbildung gewesen. Das Amtsgericht Mannheim war mit drei großen Reisebussen irgendwo hingefahren, so ganz klassisch mit Wanderung und abendlicher Weinprobe. Die Busfahrer waren offenbar gut vorbereitet, sie zeigten den Mädchen, die sie sich ausgesucht hatten (ich paßte wohl nicht ins Beuteschema, wurde also nicht gefragt) auch, daß sie ein Handtuch dabei hatten, damit nichts danebengeht. Die Mädchen, die davon erzählten, hatten auch nachgefragt und erfahren, daß dieses Vorgehen für die Fahrer völlig normal und üblich sei. Beschwert hat sich keine. Ob eine mitgemacht und damit die „Normalität“ bestätigt hat, weiß ich nicht, ich hoffe mal nicht. [/Update]
Wie es bei anderen auch heißt: Es gab da sicher noch einiges mehr, was ich einfach verdrängt habe, weil es so … „normal“ ist. Es darf aber nicht normal sein. Wir müssen AUFSCHREIEN, wenn es passiert, uns selbst oder anderen. So laut, bis man uns zuhört. Bis es aufhört.
25. Januar 2013 at 5:11
#Aufschrei !Twitter Top Trend: #Sexismus, “Übergriffe” und Gewalt, zum #Hintergrund Tweets lesen und ein paar Links…
Für alle, die sich über den Hashtag #Aufschrei in den Twitter-Trends in D wundern, sei empfohlen, sich unter der Twitter-Suche #Aufschrei einfach mal die Tweets durchzulesen, sofern einige nicht sowieso schon in der eigenen Timeline auftauchen (btw. au…
25. Januar 2013 at 5:11
Da Männer gebeten wurden nicht zu posten (es gab aber widersprüchliche Aussagen) weil es eben genau die Frauen verletzt die dort posten, ist „Überwiegend“ schon eine harte Aussage. Einige haben es trotzdem getan, was einige Frauen auch akzeptabel fanden.
Über die ganzen gelesenen Beispiel muss ich (als Mann) eh erst mal nachdenken.
25. Januar 2013 at 5:45
(Vorsicht, ich bringe einen brechreizerregenden Link!)
Auf dass dieses Wohnungsangebot München-Schwabing für eine Frau, die sich fürs Wohnen prostituiert (es wurde binnen einer Stunde bei ImmobilienScout 24 gelöscht, der Link geht auf eine von mir archivierte Version ohne besondere Formatierung) niemals vergessen werde. Das stand da offen und wohl auch ernstgemeint drin. Dahin ist diese Gesellschaft gekommen!
25. Januar 2013 at 16:51
Elias,
bevor du dir durch revertierende Peristaltik die Schleimhäute versaust, überprüfe ersteinmal den Wahrheitsgehalt der Aussagen, die du hier verbreitest:
http://www.welt.de/regionales/muenchen/article112859808/Bin-sehr-erfahren-und-habe-grosse-Brueste.html
25. Januar 2013 at 17:04
Faktencheck und Elias: Der Link zu Webcitation funktionierte bei mir schon gar nicht, da kommt ein Datenbank-Zugriffsfehler.
Unabhängig davon habe ich aber erst im letzten Jahr von einem Fall gehört, da wurde das tatsächlich von einer jungen Frau verlangt. Die Masche ist also leider tatsächlich noch aktuell.
25. Januar 2013 at 21:58
[…] Froschs Blog – Aufschrei […]
26. Januar 2013 at 16:44
Ich empfehle diese Angelegenheit http://www.infranken.de/regional/kitzingen/Wahrheit-prostitution-Wuerzburg-Unterfranken-Gericht-Vergewaltigung-Nutzen-Schaden-Seele-Lust-Trieb-Not-Geld-Sex-als-Zahlungsmittel;art218,92190
Dort ist gar nicht streitig, ob Sex Zahlungsmittel war, sondern nur, ob es zusätzlich zur Ausnutzung der ökonomischen Machtposition zur Vergewaltigungen kam.
26. Januar 2013 at 21:45
Wer sich tief dekolletiert oder im Bikini zeigt, muss damit rechnen, angeschaut zu werden. Das ist dann aber noch lange keine Grenzüberschreitung.
26. Januar 2013 at 22:07
Was ich zum Thema Bikini und Freibad beschrieben habe, hat mit Angucken nun wirklich gar nichts mehr zu tun.
Im Übrigen kann sich jede und jeder kleiden, wie sie oder er das möchte, das ist niemals eine Einladung zu Grenzüberschreitungen aller Art. Und das fängt je nach Situation tatsächlich mit Anglotzen an.
Müssen sich Männer eigentlich auch betatschen lassen, wenn sie mit kurzen Hosen und/oder nacktem Oberkörper rumlaufen? Nein? Ach. Warum nicht?
27. Januar 2013 at 12:45
[…] Froschs Blog – Aufschrei […]
27. Januar 2013 at 14:24
Ich wurde mehr als einmal betatscht (meist, aber nicht nur von Frauen). Da war ich noch etwas dünner als heute.
Ja, das ist unangenehm.
1. Februar 2013 at 14:44
John quakte:
26. January 2013 at 21:45
„Wer sich tief dekolletiert oder im Bikini zeigt, muss damit rechnen, angeschaut zu werden. Das ist dann aber noch lange keine Grenzüberschreitung.“
Geht’s noch? Wenn Du nicht „Manns genug“ bist um nur zu gucken (und nicht zu starren), dann lass es bitte ganz. Das ist wie die Pauker, die meinen, sie könnten keine 15 jährigen unerreichten, weil die zu aufreizend angezogen sein und sie dann…. Egal. Liebe Geschlechtsgenossen: Freut Euch, wen ihr ein hübschen Mädel sehen dürft, aber mehr nicht. Daraus irgendwas wie auch immer geartetes abzuleiten ist schon ziemlich daneben. Und den Älteren sei gesagt: Teenies fliegen nicht auf Opas, nicht mal auf 40 Jährige.
Was ist mit einigen passiert, als die Menschheit aus den Höhlen kroch und sich weiterentwickelte?
Zum Aufschrei. Klar haben die Mädels und Frauen recht. Klar benehmen sich viel zu viele Männer daneben, ob die meisten wage ich von meinem Umfeld aus betrachtet zu bezweifeln.
Und Frauen können es auch ganz gut: Ich bin vor vielen Jahren Taxi gefahren, nachts. Nein es sind nur wenige, aber es gibt sehr wohl Mädchen, Frauen, Damen, die gerne mit Dienstleistung bezahlen würden. Und nicht die, von denen man es erwartet (und die man als Taxifahrer eh kennt). Also nicht jene, die unter Laternen, auf Bordsteinen oder hinter roten Lampen stehen.
JO
1. Februar 2013 at 19:17
„… um nur zu gucken (und nicht zu starren), dann lass es bitte ganz.“
Gibt es dafür eine augmented reality App, die mir zu jeder Frau, die mir begegnet einen Zähler anzeigt? Nur um rechtlich abgesichert zu sein.
„Das ist wie die Pauker, die meinen, sie könnten keine 15 jährigen unerreichten, weil die zu aufreizend angezogen sein und sie dann….“
Ich sage: Nein ist es nicht.
„Daraus irgendwas wie auch immer geartetes abzuleiten“
Es geht nicht um ableiten von irgendetwas, sondern darum jemanden anzusehen, der sich im öffentlichen Raum bewegt.
„Und den Älteren sei gesagt: Teenies fliegen nicht auf Opas, nicht mal auf 40 Jährige.“
In Gesellschaften mit freier Partnerwahl galt bis in die 1970er Jahre: Je höher der soziale Status eines Mannes, desto größer ist durchschnittlich bei Erst-Ehen beider Partner der Altersabstand zwischen ihnen (das heißt desto relativ jünger ist die Frau). http://de.wikipedia.org/wiki/Heiratsalter
„Was ist mit einigen passiert, als die Menschheit aus den Höhlen kroch und sich weiterentwickelte?“
Mit fast allen ist seitdem fast nix passiert. Umgerechnet auf die gesamte Evolution instinktvermittelten Verhaltens ist das ja auch erst vor Sekunden passiert. In der kurze Zeit kann sich noch nicht viel verändert haben. http://www.gocomics.com/tomthedancingbug/2013/01/24