Neuland
19. Juni 2013 um 19:28 Uhr von Atari-Frosch
Sonst hält Angela Merkel ja meist die Klappe und läßt andere in die Scheiße fassen, aber heute wollte sie wohl mal selbst. Und sie hat richtig tief reingefaßt, damit es sich auch lohnt. Im Rahmen der Pressekonferenz mit Barack Obama, der Berlin besuchte, erklärte sie:
Das Internet ist für uns alle Neuland, und es ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung, mit völlig neuen Möglichkeiten und völlig neuen Herangehensweisen unsere Art zu leben in Gefahr zu bringen.
Ein Medium, das seit Mitte der 90er Jahre allgemein zugänglich ist, um das sich nicht nur ein Wirtschaftszweig, sondern eine ganze Reihe von Wirtschaftszweigen gebildet hat, das für immer mehr Menschen so selbstverständlich zum täglichen Leben gehört wie Zähneputzen, das dabei ist, unsere Gesellschaft zu einer Informationsgesellschaft umzukrempeln, im Jahr 2013 als „Neuland“ zu bezeichnen, bezeugt eine unglaubliche Ignoranz nicht nur der Bundeskanzlerin. Patrick Beuth hat es in seinem Artikel Die Kanzlerin von Neuland schön zusammengefaßt:
In Merkels wenigen Worten spiegelt sich denn auch die ganze erbärmliche Netzpolitik der Bundesregierung. Eine Netzpolitik, die das Internet in erster Linie als Gefahrenquelle ansieht und wenn überhaupt, dann nur nachrangig als Chance.
Robert Vossen schreibt dagegen auf Basic Thinking unter Das Internet bleibt #Neuland: Warum Merkel gar nicht so Unrecht hat:
Das Internet bleibt Neuland. Und zwar nicht, weil wir gerade erst eine neue Insel entdeckt haben, sondern weil wir auf dieser Insel „Internet“ selbst stetig Neuland entdecken.
[…]
Dennoch liegt Merkel nicht so komplett daneben, wie es die aktuelle Twitter-Timeline glauben machen könnte. Wir als Bewohner der digitalen Welt sollten uns daher lieber ein wenig mehr darum bemühen, Aufklärung zu leisten, anstatt die vermeintlich so rückständigen Bewohner der analogen Welt mit Häme aus dem Meme-Generator zu überziehen.
Aufklärung leisten kann man jedoch nur da, wo einem auch zugehört wird. Ich habe nicht den Eindruck, daß unsere derzeitige asoziale Bundesregierung vorhat, den „Digital Natives“ auch nur ansatzweise zuzuhören, ganz im Gegenteil. Seit Jahren erklären wir, schreiben uns die Finger wund und reden uns den Mund fusslig, und seit Jahren erzählen sie uns immer wieder denselben falschen dummen Scheiß, als ob wir gegen weiße Klowände geredet hätten.
Wie oft haben wir über die Sinnlosigkeit und Gefahren einer Vorratsdatenspeicherung oder anderer Überwachungsfantasien informiert? Wie oft vor den Gefahren von „Websperren“ gewarnt? Wie oft haben wir das Internet erklärt?
Sie wollen uns doch offensichtlich gar nicht zuhören. Also bleibt das Internet für sie Neuland. Und wer nicht mal ansatzweise versteht und verstehen will, wie Daten in diesem Internet transportiert werden, ist dann natürlich auch nicht Willens und in der Lage, zu verstehen, warum ihre ganzen Gesetze und Gesetzesvorhaben, die mit diesem Neuland Internet zu tun haben, so viele Facepalms und Shitstorms auslösen. Zumal Bürgerrechte und Verbraucherschutz, die letztlich dadurch berührt werden, sowieso nicht so wirklich auf der Agenda dieser asozialen Bundesregierung stehen, wie wir schon lange wissen.
Nein, ich habe natürlich keine Glaskugel, keiner von uns hat das. Wir müssen von denen, die uns vertreten, aber wenigstens erwarten können, daß sie eine so grundlegende Technologie mindestens so weit verstehen, daß sie begreifen, was da möglich ist und was nicht. Und vor allem: Was sinnvoll ist und was nicht.
Das hört natürlich nicht mit einem Facebook-, Google+- oder Twitter-Account auf, der alle paar Tage mit einer Pressemeldung beschickt wird. Und wenn dann ausreichend Wissen beisammen ist, genügt es, den Grips einzuschalten und das Ganze wenigstens ein bißchen weiterzudenken, um sinnvolle Gesetze zu schaffen, wo diese notwendig sind, und das mit den Gesetzen einfach mal bleibenzulassen, wo sie nicht notwendig sind.
Sofern Grips vorhanden ist, natürlich.
[Update 2013-06-19 22:38] Was andere sagen:
- Die Ennomane: #Neuland: die Arroganz der Digital Natives (via @ennomane)
- Indiskretion Ehrensache: Die Bundeskanzlerin der Maschinenstürmer (via +Elfriede Nerdinger)
- Büttchenbunt: Martha: die Entlarvung der Macht (via @XiongShui)
- Nerdcore: Warum #Neuland gefährliches Neusprech der Kanzlerin ist (via @NerdcoreBlog/@Piratenpartei)
- kaputtmutterfischwerk: Warum #Neuland ein schönes Meme, aber eigentlich gar nicht lustig ist (via @scanlines)
[/Update]
19. Juni 2013 at 20:53
Ich denke das die Merkel gar nicht so unrecht hat und denke ähnlich wie der Zitat aus Basic Thinking: Das Internet bleibt Neuland. Und zwar nicht, weil wir gerade erst eine neue Insel entdeckt haben, sondern weil wir auf dieser Insel „Internet“ selbst stetig Neuland entdecken. Das trifft den Nagel so ziemlich auf den Kopf.
Und die ganze „Aufklärung“ die hier als Argumentation angepriesen wird, halte ich für ziemlich einseitig. Nicht die Technik ist das Problem, sondern der Mensch. Die Technik ist da nur Mittel zum Zweck. Da auch viel schlechtes über das Internet gemacht wird, kann ich Dinge wie die Vorratsdatenspeicherung nur begrüßen. Sie dient nicht nur zur Belastung, sondern auch Entlastung zur (Un)Schuldsvermuttung betroffener Menschen.
Das hier vielleicht wieder Unfug betrieben wird, liegt eben nicht an der Technik, sondern Menschen. Und da liegt meiner Meinung nach das Problem. Deswegen mache ich mir zu dem ganzem Thema, kaum ernsthafte Gedanken. Prism? Na und? Ich habe nichts zu verbergen. Und wenn ich etwas verstecke, finden die es sowieso heraus was es ist. Daher lasse ich mir bei so etwas keine grauen Haare wachsen. Man lebt nur einmal.
MfG
19. Juni 2013 at 21:48
Zu ViNic: Ich kopier mal eben einen Text den ich als Kommentar bei meiner lokalen Zeitung hinterlegt habe:
„Als ehemaliger Landesvorsitzender einer für die USA „unbequemen“ Partei kann ich wohl davon ausgehen, das die National Security Agency (NSA) durchaus ein Interesse daran hatte, meinen persönlichen Mail- und Facebookverkehr mitzulesen. Sie wissen nun das ich innerhalb des letzten Jahres eine gescheiterte Beziehung, psychische, physische, finanzielle und berufliche Probleme hatte“
Und sie wissen somit auch, wer meine ehemalige Partnerin war, weshalb das gescheitert ist, welchen Süchten die gute Dame unterliegt und das ich ihr teilweise geholfen habe dabei, sie wissen welche körperlichen und psychischen gebrechen ich hatte, können Schimpftriade über meinen ehemaligen Arbeitgeber lesen, wissen in etwa wer mir in der finanziellen Not Geld geliehen hat… nichts zu verbergen? Wirklich nicht? Schau lieber noch mal nach…
19. Juni 2013 at 23:21
[…] Phew, irgendwie habe ich das alles unterschätzt und bin total dankbar, dass es ein paar Menschen in diesem #Neuland gibt, die ihrem Ärger Luft verschaffen. So auch Atari-Frosch, die keinen Bock mehr hat, bräsigen Politspackos was vom Internet erklären zu müssen: […]
19. Juni 2013 at 23:27
Wahaha, ViNic hat YOLO gesagt. Eine Runde Aussetzen. Jaja, die Regeln im #Neuland sind hart aber ungerecht.
20. Juni 2013 at 9:39
Für die Kanzlerin aus Neufünfland ist das Internet Neuland…
Na ja also dieses Statment von Frau Merkel: “Das Internet ist für uns alle Neuland“ und der Versuch Ihres Sprechers einer Erklärung, dass es sich dabei um die rechtliche Seite handle, zeigt doch nur wie unfähig unsere derzei…
20. Juni 2013 at 9:42
@Fizz: Es kann unangenehm sein, das streite ich auch nicht ab. Ich sehe die Sache so. Wenn du nicht willst das man etwas über dich und dein Leben erfährt, dann stelle es auch nicht, in irgendwelcher Form und wenn es sich vermeiden lässt, ins Internet. So einfach ist das. Die ganze Verschlüsselung und Schutzmechanismen helfen allgemein nur bei Menschen mit „geringerem“ Know-how. Institutionen wie NSA, BND und wie auch immer, werden immer einen Weg finden, um an Daten über bestimmte Personen zu kommen. So einfach ist das.
@daMax: Ich weiß nicht was YOLO ist.
20. Juni 2013 at 13:16
@ ViNic: You Only Live Once
20. Juni 2013 at 16:05
[…] von Bürgerrechten im Netz“. Die digitale Avantgarde fühlt sich übergangen, man stellt das Vorhandensein von Grips infrage, stellt Merkel als Maschinenstürmerin dar und findet es alles andere als lustig. Vereinzelt wird […]
20. Juni 2013 at 17:00
old school. you rock!
auch von meinem heutigen rant ausgenommen 😉
20. Juni 2013 at 17:43
Nur Menschen mit geringerem Know-How? Aha. Und die darf es dann ruhig treffen? Bei denen ist das dann OK?
Von heute, sehr passend, von Twister: Krisen, psychische Störungen und Prism.
Auch an @Fozzie: Problem immer noch nicht verstanden. Nochmal: Wenn nur ein Teil der Kommunikation verschlüsselt wird, zeigst Du damit an, was von Deiner Kommunikation „wichtig“ ist. Und jetzt lies Du auch mal den Artikel von Twister.
20. Juni 2013 at 22:31
Menschen mit geringerem Know-how richtig. Ich weiß ja nicht wie gut du in Sicherheitstechniken unterrichtet bist. Ich bin zwar Netzwerktechnicker, vieles traue ich mir auch nicht zu, was hacken oder ins fremde Netz einzubrechen angeht. Ich denke, wenn ich genug Energie aufbringe, könnte ich das auch schaffen. Das ist aber nicht der Punkt. Im normalem Fall würden mich schon einfache Sicherheitsmechanismen davon abhalten, Dummheiten zu machen. Anders sieht es für Menschen aus, deren „Job“ es ist, in gesicherte Umgebungen einzudringen. Und damit trifft es so ziemlich jeden, egal ob Menschen mit viel Know-how oder wenig. Ob es damit OK wird, oder nicht, entscheidet letztendlich das Ergebnis bei dem Fall.
21. Juni 2013 at 15:14
Ähh, ich schäm mich ja fast, aber für mich ist das auch alles Neuland.
Terra Inkognita sozusagen.
Aber ich frage trotzdem: Was ist das, dieses „Innernetz“ oder „Indernet“ oder wie das nun heißt?
Wir Älteren (also ab 30) haben es schon schwer diesen neumodischen Trends immer zu folgen…
JO