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Dahin, wo die anderen sind?

5. September 2014 um 18:26 Uhr von Atari-Frosch

Derzeit macht sich Twitter massiv unbeliebt, indem sie zum einen dem Dienst Twitpic Ärger machen und zum anderen planen, den Nutzern die Kontrolle über die Timeline zu nehmen. Tweets sollen, ähnlich wie bei Facebook (und teilweise wohl auch bei Google+) nicht mehr nach zeitlicher Reihenfolge, sondern nach „Gewichtung“ angezeigt werden.

Das wirft für viele Nutzer die Frage auf, ob Twitter noch der Dienst ihres Vertrauens ist – und was die Alternativen wären. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, was potentielle Alternativen für Funktionen bieten, sondern auch, wer da sonst hingeht. Wo gehen die Freunde hin, die Zeitungen und Magazine, denen man so folgt, die Prominenten, die Abgeordneten und sonstigen Politiker?

Chris de Burgh sagte mal in einem Interview, er bevorzuge Facebook vor Twitter (obwohl er auf beiden Plattformen Accounts unterhält, die teilweise von ihm selbst, teilweise vom Management befüttert werden), weil auf Facebook mehr Leute seien. Mein Eindruck ist, daß er mit dieser Ansicht unter Prominenten nicht alleine steht.

Ich halte diesen Ansatz aber für falsch. Tatsächlich sind es gerade Prominente, die oft genug quasi bestimmen (können), für welche Social-Media-Plattform(en) sich Nutzer entscheiden. Oder anders: Mit jedem Prominenten, egal ob aus Politik, Kultur usw., der einen aktiven (!) Account auf einer bestimmten Plattform betreibt, bekommt diese Plattform mehr Zulauf, weil Nutzer ein spezielles Interesse an den Nachrichten dieses Prominenten haben.

Die angekündigten Änderungen bei Twitter treiben seit ein paar Tagen sowohl der freien Federati-Gemeinde (StatusNet/GNU social, kurz SN/GS) als auch dem Dienst Ello – den ich mir noch nicht angesehen habe – neue Nutzer in die Arme. Als Betreiberin einer eigenen StatusNet-Instanz freut mich das natürlich besonders. Es hat mich sowieso schon gewundert, warum insbesondere Piraten so dermaßen an Twitter kleben, statt auf eine freie Plattform zu wechseln – und es sind längst nicht nur Piraten, die jetzt SN/GS zumindest mal testweise nutzen.

Auch wenn der Software dahinter noch einige Features fehlen und die Einrichtung einer Instanz öfter mal mit Basteleien verbunden ist, wie ich im IRC-Channel (Freenode, #social) so mitbekomme, kann das nur positiv sein. Ein Anwachsen der Nutzerzahlen bringt mit Sicherheit auch weitere Leute mit Programmierkenntnissen dazu, zur Weiterentwicklung von GNU social beizutragen, was das Netzwerk wiederum verbessern wird.

Bevor die Frage aufkommt, was mir an Features fehlt: Zum einen ist es nicht möglich, private Nachrichten über Instanzen hinweg zu verschicken; das geht nur an Nutzer auf derselben Instanz. Der Aufwand ist hier möglicherweise größer als beim zentralistischen Twitter, andererseits denke ich mir, daß der Transport nicht so viel anders funktionieren dürfte als der von öffentlichen Meldungen.

Zum zweiten, für mich stark störend, sieht man in der Timeline auch Antworten von Nutzern, denen man folgt, an Dritte, denen man nicht folgt. Ich erinnere mich dunkel, daß das bei Twitter in der Anfangszeit, also so 2008, 2009 rum, auch mal so gewesen war und dort dann aus guten Gründen abgestellt wurde. Damit habe ich eine Menge „Rauschen“ in meiner Timeline, das nicht sein müßte. Einem bestimmten Account folge ich deshalb schon nicht mehr, obwohl ich das gern tun würde.

Es gibt wohl durchaus Befürworter dieser Darstellungsart, aber dann wäre es doch sinnvoll, jedem Nutzer oder zumindest jedem Admin einer Instanz die Freiheit zu geben, selbst zu entscheiden, ob Antworten an Dritte zu sehen sein sollen oder nicht. Diese Wahlfreiheit fehlt mir; ich bekomme diese Antworten ungefragt in die Timeline gespült.

Und noch eins stört mich: Wenn ich einen anderen Nutzer blocke, sehe ich trotzdem Antworten von ihm, wenn diese direkt an mich gerichtet sind. Das ist eigentlich nicht der Zweck einer Blockade.

Was auch definitiv noch fehlt: Ein Gateway, um RSS-Feeds direkt auf Accounts zu schicken. Das soll wohl mit einigen Verknotungen und einem Script möglich sein, aber ein Plugin, welches das „einfach so“ erledigt, gibt es (noch?) nicht. So kann man Zeitungen, Magazine, Blogs etc. nicht gut davon überzeugen, sich einen Account einzurichten oder gar selbst eine Instanz zu betreiben.

Aber es gibt gegenüber Twitter auch einen echten Pluspunkt: Gruppen. Eine Gruppe wird auf einer Instanz angelegt und kann dann von allen angeschlossenen Instanzen aus abonniert werden. Sie dient als vergrößerter, themenbezogener Verteiler: So wird alles, was ich mit dem Gruppen-Tag !piratenpartei abschicke, an alle Abonnenten der Gruppe verschickt, auch wenn sie mir sonst nicht folgen.

„Normale“ #Hashtags gibt es natürlich auch, aber diese wirken – wie auf Twitter – nicht als Verteiler, sondern nur als Suchbegriff.

Trotz der genannten Mängel: Ich überlege ernsthaft, Twitter zwar nicht sofort, aber in absehbarer Zeit den Rücken zu kehren und stattdessen mehr Zeit in SN/GS zu investieren. Es ist nervig genug, daß Google+ mir vorschreibt, welche Meldungen derjenigen, die ich eingekreist habe, ich wann zu sehen bekomme – und manches bekomme ich dann einfach gar nicht zu sehen, wenn ich nicht ständig auch direkt in die Profile gucke. Wenn Twitter genauso wird, wird es unbrauchbar. Nur den Firmen-Account @nerd4u_eu würde ich wohl weiterhin beschicken.

Und wer weiß, vielleicht ist das Netzwerk irgendwann groß genug, damit sich auch Prominente mit der oben genannten Ansicht einen Account nehmen oder sich sogar eine Instanz einrichten lassen. Letzteres hätte so nebenbei den Vorteil, daß keiner über die Logs etc. ihre IP sehen könnte.

Ich gehe damit nicht dahin, wo „die anderen“ hingehen. Ich gehe da hin, wo ich die größte Freiheit habe. Und wenn das dann auch noch dezentral und mit Freier Software möglich ist, umso besser.

Aus Performance-Gründen kann ich derzeit nur noch maximal ganz wenigen Leuten einen Account anbieten. Mein Server – ein Core, 1 GB RAM – ist derzeit zeitweise an seiner Leistungsgrenze, und die StatusNet-Installation scheint mir daran nicht ganz so unschuldig zu sein. Daher bin ich mit weiteren Accounts erstmal vorsichtig.

Allerdings gibt es natürlich weitere Instanzen, bei denen man sich einen Account besorgen kann, beispielsweise quitter.se, hier sogar ohne Einladung.

[Update 2014-09-07 17:48] Quitter ist hoffnungslos überlastet, bitte nicht mehr dort registrieren! Notices von Quitter-Accounts brauchen derzeit über drei Stunden, um bei allen anderen anzukommen; ich will gar nicht wissen, unter welcher Last die Maschine steht. – Es gibt genug andere Instanzen, die Zugänge frei oder auf Einladung anbieten, bitte nutzt den Vorteil der Dezentralität! Ihr könnt auf jeder Instanz allen Nutzern im gesamten Netzwerk folgen. [/Update]

Bei status.pirati.ca kann man einen Account bekommen, indem man den Betreiber kontaktiert.

[Update 2014-09-05 19:05] Nun habe ich sie doch noch gefunden: Die Liste aller bekannten Instanzen. [/Update]

Sehen wir uns dort?


History

9 Kommentare zu “Dahin, wo die anderen sind?”

  1. Küstennebel quakte:

    Bin ja nicht so der social networker. Vielleicht muss man erstmal soziale Beziehungsbasis haben, oder zumindest ein inhaltliches Ziel, das man kommunizieren möchte.

    Irgendwie kann ich mit solchen Werkzeugen nix anfangen. Bei Foren hänge ich zuviel oder gar nicht herum, nach der Registrierung. In Chats ists mir in aller Regel zu oberflächlich, „smalltalkisch“ und „flirtifiziert“.

    Facebook selbst ist mir schon per Geschäftsmodell zuwieder und Twitter oder irgendwelche hippen Nachrichtendienste der letzten Jahre? Wohl kaum…

    Aber danke für den Einblick.

    Können Sie mir den Sinn von Twitter noch mal erklären? Ist mir nie wirklich klar geworden.


  2. Arno Nym quakte:

    RSS kann man mit Bordmitteln spiegeln, wenn der Feed push kann; also pussubhubbub. Kann er es nicht, kann man ihn z.B. einmal über Feedburner schleusen, der regelt das dann.

    Und Hashtags kann man sehr wohl als Verteiler verwenden – an alle Leute, die den Tag auch abonniert haben. Das geht leider immer nur lokal (bei Dir z.B. unter http://statusnet.atari-frosch.de/tag/wordpress, jetzt mal willkürlich genommen). Dann kriegst Du alle Posts mit dem Tag, die aus irgendeinem Grund auf Deinem Server landen, z.B. weil dem User jemand anders bei Dir folgt, in Deine Timeline.

    In dem Zusammenhang ist mir aber direkt mal noch ein lustiger Bug aufgefallen: wenn auf meinem Server ein Tag bisher ausschließlich von externen bespielt ist, kann ich ihn _nicht_ abonnieren 🙂


  3. Arno Nym quakte:

    „pussubhubbub“ da oben sollte natürlich „pubsubhubbub“ heißen m(

    https://code.google.com/p/pubsubhubbub/


  4. JoachimA quakte:

    Auch wenn es manche nicht glauben: Ein Leben ohne Facebook, Twitter und Google-plus Account ist möglich, sogar angenehm. Sogar als aktiver Internetnutzer. Selbst bei hyperaktivem Mitteilungsbedürfnis geht es ganz ohne.

    Und auch ohne Smartphone muss man nicht vereinsamen. Denn die, die meinen, man wäre eben ein niemand, weil man nicht 24 Std. am Tag 7 Tage in der Woche erreichbar ist oder die, die Einladungen oder Verabredungen nur in irgendwelchen Timelines (heißt das so?) meinen aussprechen zu können, die können mich sowieso mal ganz gepflegt frei nach Götz… Aber so was von.

    Aber vielleicht bin ich auch nur zu alt oder zu blöd für das ganze Gedöns.

    Obwohl gerade die sehr jungen Leute (also unter 20) sich speziell von Facebook mehr oder weniger verabschieden bzw. erst gar nicht anmelden. Mein Patenkind (14) findet es „uncool“ weil die ganzen Pauker auch drin sind. Das lässt hoffen.

    Die mehr oder weniger Gleichaltriegen, also die Grufties, die da meinen jetzt endlich das blaue Wunder genannt Fratzenbuch und somit das Netz bzw. den Sinn desselben (außer „Why you think the net was born, porn, porn, porn“ und vielleicht Ebay) endlich für sich entdeckt zu haben, die merken gar nicht, wie überflüssig das Ganze eigentlich ist.

    Alternativen werden die nie nutzen, weder zu FB noch zu Twitter, genauso wenig wie für die Computer gleich Word und Windows ist, auch dann noch, wenn irgendwann Debian 17 oder 27 fertig ist.

    Einfach nur irre das Ganze.

    JO


  5. Atari-Frosch quakte:

    @Küstennebel & JoachimA: Niemand muß es nutzen, natürlich. Ich nutze es und setze mich auch damit auseinander – statt es einfach zu nutzen, ohne drüber nachzudenken. Andere gucken Fernsehen. Wieder andere bauen Modelleisenbahnen. Und so weiter.

    Wo war jetzt nochmal das Problem?


  6. Atari-Frosch quakte:

    @Arno Nym: Ja, ich hab davon gehört. Ich frag mich halt, warum dieser Umweg nötig ist, statt RSS direkt zu verwenden. Eben das macht es ja unnötig kompliziert, und zwar für beide Seiten, sowohl für den Admin einer Instanz als auch für den Anbieter der Inhalte; einer von beiden muß etwas zusätzlich installieren.

    Deshalb wäre mir eine direkte Lösung wesentlich lieber. RSS ist ja nun auch nicht sooo neu, sondern wird von so ziemlich allen Blogs und vielen Zeitungen etc. genutzt.


  7. Küstennebel quakte:

    Joa, ging mir nur um eine Idee einer sinnvollen Nutzung von Twitter ausserhalb eines kommerziellen Rahmens. Das finde ich irgendwie nicht, aber muss ich auch nicht. Da haben Sie Recht.

    Viel Erfolg Ihnen


  8. Atari-Frosch quakte:

    @Küstennebel:

    • Sehr zeitnahe Informationen aus dem Zeitgeschehen, von „aus der eigenen Stadt“ bis „von der anderen Seite der Erde“.
    • Sehr schnelle Hilfe durch „#followerpower“ – statt herumzutelefonieren, kann ich direkt hunderte oder tausende Leute fragen. Dabei geht es vor allem um Dinge, bei denen mir Wikipedia oder eine Suchmaschine nicht helfen können: konkrete Mitfahrgelegenheit, Wohnungssuche, Dinge irgendwo verloren oder gefunden, oder auch Dokumente suchen, die einfach nicht online stehen, wie beispielsweise Handbücher.
    • Wissen und Informationen mit denen verbinden, die sie brauchen: Wenn eine Frage gestellt wird, weiß ich nicht unbedingt die Antwort, kann aber möglicherweise jemanden nennen, von dem ich weiß, daß er sich schon damit beschäftigt hat.
    • Schnell Kontakt zu Gleichgesinnten finden und, noch schöner, kurzfristig Aktionen auf die Beine stellen.

    Und all das völlig unkommerziell.

    Ich habe über Twitter beispielsweise diesen einen Link zu diesem einen Blogartikel und von dort aus zu weiteren gefunden, über die ich begriffen habe, daß ich im Autismus-Spektrum bin. Von alleine wäre ich da vermutlich nie drübergestolpert.


  9. Küstennebel quakte:

    Ah ok, dafür bin ich wohl zu introvertiert oder so. Wäre nie auf die Idee gekommen über Twitter meinen sozialen WirkRadius oder mein Kommunikationshabitat zu vergrößern.

    Meine Diagnosen konnt ich nach ein paar Jahren Psychoedukation immerhin selbst erkennen. ASS ist allerdings schwer neben ADS zu erkennen / abzugrenzen.

    Da sind wir irgendwie ein bischen gleich (ASS) und doch so unterschiedlich 😉

    Der Mensch, das größte Rätsel der Menschheit? Hauptsache Mensch!

    Danke für deine Antwort.


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