Aktion Mensch und ABA
20. August 2015 um 18:18 Uhr von Atari-Frosch

Die Aktion Mensch gibt sich gerade alle Mühe, zu zeigen, daß sie sich für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen eigentlich gar nicht so sehr interessiert. Zumindest in bezug auf Autismus entwickelt sie sich eher in die Richtung: „Wir fördern das, was am lautesten schreit, und die, die die besten Rhetoriker haben.“
Auf diese Weise ist Aktion Mensch offensichtlich auf die Vertriebler einer „Autismus-Therapie“ hereingefallen, die eine Dressur, ähm, „Therapie“ im Stil der Applied Behavior Analysis oder kurz ABA anbieten. Und weil die Krankenkassen diese Therapie nicht bezahlen, graben sie halt mal Aktion Mensch an, weil Aktion Mensch Fördertöpfe für sowas hat. Das Problem dabei ist, daß Aktion Mensch offenbar nicht wirklich wissen will, was sie da fördern.
Was ist ABA?
Bei der Applied Behavior Analysis geht es, schlicht gesprochen, darum, einem autistischen Menschen, bevorzugt noch sehr kleinen Kindern, ein unerwünschtes Verhalten „auszutreiben“ und ihm stattdessen erwünschtes Verhalten aufzuzwingen. Man könnte es auch als Klickertraining für Menschen bezeichnen.
Das Ergebnis sind dann Menschen, die nie gelernt, haben, Nein zu sagen oder überhaupt Entscheidungen zu treffen. Sie „funktionieren“ wunschgemäß, aber sie haben Freiheit nie gelernt. Außerdem sind sie nicht wehrhaft und somit besonders hilflos bei jeglicher Art von Übergriffen, auch sexueller Art.
So schreibt Aleksander Knauerhase in Wenn Festhalten als ABArtig empfunden wird:
Das alleine ist schon traurig, unerträglich für mich wird es jedoch, wenn man diesen abgesprochenen Lerneffekt durch schon roboterhaftes oder programmiertes Verhalten ersetzt. „Schau mich an!“ ist einer der noch am häufigsten Befehle die während eines ABA Trainings ausgesprochen wird. Das passiert solange, bis das Kind diesen Befehl auch ausführt. Gerade durch das Umlenken der Aufmerksamkeit und das gezielte fixieren auf die Anweisung wird hier ein Automatismus erzeugt. Das Kind wird nicht zum Elternteil schauen weil es das möchte, sondern weil es sich entweder eine Belohnung erwartet oder einfach nur weiß: Ich werde solange damit konfrontiert bis ich es tue. Also macht man es eben. Warum ein autistisches Kind unter Umständen Probleme hat anderen Menschen in die Augen zu schauen wird bei dieser Therapieform gänzlich außer Acht gelassen. Was zählt ist einzig, dass das Kind funktioniert. Je schneller und deutlicher umso besser. Natürlich ist das eine sehr effektive Methode um ein gesellschaftskonformes Verhalten zu erreichen. Eltern sehen schnell vermeintliche Erfolge und damit auch einen Ausweg aus der für sie unerträglichen Situation Autismus. Wenn man jedoch die Bedürfnisse von autistischen Menschen übergeht und nicht versteht warum sie sich so verhalten wie sie es eben tun wird man nur eines erhalten: Einen Menschen der in der Gesellschaft zwar funktioniert, aber ansonsten innerlich wahrscheinlich schon längst ge- und zerbrochen ist.
Also, eigentlich nicht das, was man sich unter einer Therapie vorstellt. Denn eine Therapie sollte den Zweck haben, daß sich der Therapierte hinterher besser fühlt, und nicht primär, daß er besser handhabbar ist und besser „funktioniert“.
Was hat Aktion Mensch damit zu tun?
Aktion Mensch sieht das wohl anders. Nachdem Aleksander erfahren hatte, daß Aktion Mensch eine dem ABA nachempfundene „Therapie“ mit einer doch recht erklecklichen Summe fördert, bot er dort auch als Inklusionsbotschafter an, über die Therapie zu informieren und darüber, warum Autisten die gar nicht so toll finden.
Ich habe daraufhin der Aktion Mensch angeboten das ich vor Ort, also in Bonn bei der Aktion Mensch, gerne über ABA aufkläre und informiere. Ich wollte damit die Grundlage dafür schaffen, dass in Zukunft bei der Förderung wesentlich genauer hingeschaut wird. Und natürlich auch klar kommunizieren: ABA ist für Autisten nicht tragbar. Hintergrund ist meine Einstellung: Nur wer informiert ist kann auch richtige Entscheidungen treffen. Und sich hinterher nicht darauf ausruhen nicht gewusst zu haben das etwas schädlich ist. Die Aktion Mensch ging auf mein Angebot ein, sie stimmten einem Treffen zu. Und dann fing es an kompliziert zu werden…..
schreibt er in Ich kann eigentlich nur verlieren.
Nun wurde die erwähnte Therapie nicht ABA genannt, das wäre ja zu einfach durchschaubar gewesen. Stattdessen heißt das Projekt jetzt „Bremer Eltern Training“ (BET). Die Idee dahinter ist dieselbe, die Grundlagen sind dieselben, es wird sich auf denselben Wissenschaftler berufen – kurz, BET ist ABA in neuem Gewand.
Statt sich jetzt einfach mal anzuhören, was Aleksander als Inklusionsbotschafter zu sagen hat, lud Aktion Mensch ihn zu einer Präsentation des BET-Anbieters ein.
Um das mal verständlicher zu machen: Der Anbieter der Therapie darf sich ausführlich lang und breit mit Hilfe seiner rhetorisch geschulten Leute präsentieren, und der Herr Inklusionsbotschafter darf dann auch mal ein bißchen was dazu sagen. Vielleicht. Mehr noch: Man hoffte, ihn dann überzeugen zu können. So, als ob er nicht gute Gründe hätte, das Prinzip dahinter, nämlich die Dressur von Menschen, generell abzulehnen.
Was dann dabei herauskam, schildert er in Nicht über uns ohne uns. Oder doch lieber nicht? Die Einlassungen der BET/ABA-Befürworter sind dabei schon schlimm genug. Den Vogel schießt allerdings die Mitarbeiterin von Aktion Mensch mit ihrem Kommentar ab:
Wir beteiligen uns nicht an der Diskussion, ob die ABA-Therapie richtig ist oder falsch.
Und genau das, Aktion Mensch, ist Euer Problem. Solange Ihr Therapien fördert, die ihr nicht verstanden habt und die ihr gar nicht verstehen wollt, und solange Ihr lieber lautstarken Lobbyisten zuhört, denen es vor allem ums Geld geht, statt Autisten, seid Ihr mal SOWAS von untendurch! Ihr seid somit ein Teil des Problems, nicht Teil der Lösung.
[Update 2015-08-20 18:30] Bei fotobus ist Aktion Mensch auch untendurch: Ihr seid bei mir durch, Aktion Mensch! [/Update]