Thinkpad X220 mit Stolperfallen
19. Oktober 2015 um 1:07 Uhr von Atari-Frosch
Vor ein paar Tagen wurde ich gebeten, heute ein gebraucht gekauftes Lenovo Thinkpad X220 mit Debian Jessie zu installieren. Sollte ja eigentlich kein besonderes Problem sein. Dachte ich.
Ich hatte mich wie üblich vorbereitet: Installations-CD gebrannt (Debian 8.2.0 CD 1) und auch mein externes USB-CD-Laufwerk eingepackt – denn die X-Thinkpads haben üblicherweise kein internes. Internetzugang war vor Ort vorhanden. Aber es wäre ja zu einfach gewesen, wenn das einfach so funktioniert hätte.
1. Runde: CD-Laufwerk ans X220 angeschlossen und gebootet. Da meldete sich fröhlich ein DOS von der Festplatte. Wir tippten auf ein FreeDOS oder sowas, auch wenn sich das Ding als Microsoft Windows 95 OSR2 bezeichnete. Eine GUI hatte es nicht. Netzwerk-Zeug konnte es auch nicht. Eine installierte „check.exe“ entpuppte sich als veraltetes Viren- und Hardware-Prüfprogramm aus Osteuropa, das von sich selbst behauptete, nicht mehr auf dem aktuellen Stand zu sein. Es meldete ganz hektisch einen „Virus“ im System, aber so richtig wollte ich bei einem vom Computerhändler frisch installierten System nicht daran glauben. War aber sowieso egal, das sollte ja eh alles neu gemacht werden.
Eigentlich wollte ich ja ins BIOS, um es mir einfach mal anzusehen und natürlich auch wegen der Boot-Reihenfolge. Dazu sollte man beim Booten die blaue ThinkVantage-Taste gedrückt halten. Auf den Tastendruck reagierte das X220 aber einfach mal gar nicht. Ich probierte ein paar übliche Tasten durch, startete bei Mißerfolg den Rechner aber jeweils mit dem Affengriff (Ctrl-Alt-Del) neu. Man sollte ja meinen, daß das genügt. – Keine der üblichen Tasten brachte mich jedoch ins BIOS.
Mit F12 kam ich dann aber irgendwann in einen sogenannten Boot-Manager. Der bot mir auch neben der internen Festplatte und einem LAN-Boot das externe CD-Laufwerk an. Wählte ich das allerdings zum Booten aus, dann wurde erst geschäftig drauf zugegriffen – um mir dann wieder ganz unschuldig den Boot-Manager zu präsentieren. Mit dem CD-Laufwerk drin.
Ein wenig Herumfragen brachte mir drei Informationen: Erstens, ich sollte nicht mit Affengriff rebooten, sondern tatsächlich aus- und wieder einschalten, und zweitens, ich solle es dann mal mit F1 versuchen. Achja, und drittens sei es generell ein wenig tricky, bei so einem Thinkpad ins BIOS zu kommen. – Mit F1 bei komplettem Neustart landete ich denn auch tatsächlich im BIOS. Dort erfuhr ich dann allerdings nichts neues: Das CD-Laufwerk war da bereits als erstes Bootmedium eingetragen. Davon booten wollte er weiterhin nicht.
Erster Verdacht: Die CD ist vielleicht doch irgendwie kaputt. Ich tauschte sie gegen eine Ultimate Boot CD aus, die ich für solche Fälle auch immer dabei habe. Das Ergebnis war jedoch dasselbe: Auch die wollte er nicht booten. Eine Fehlermeldung bekam ich übrigens nicht, das wäre wohl zu einfach gewesen.
2. Runde: Ich bekam einen USB-Stick mit dem Image der ersten CD für Debian Jessie gereicht. Der bootete dann tatsächlich, kam aber nicht über die Auswahl der Installationsart hinaus: Der Kernel schien kurz zu starten – und zack, war ich wieder in der Installations-Auswahl. OK, könnte vielleicht daran gelegen haben, daß das die 32-bit-Version war und der Rechner ein 64-bit-System.
3. Runde: Während jemand ein neues Image, diesmal mit der 64-bit-Version, auf den Stick bastelte, probierte ich mein externes CD-Laufwerk an meinem eigenen, mitgebrachten Notebook (Thinkpad R61) aus, wo es anstandslos erkannt wurde und gemountet werden konnte. Damit war der Verdacht ausgeräumt, daß das Laufwerk einen Schlag haben könnte. Irgendwie mag das X220 wohl keine optischen USB-Laufwerke. Zumindest mag es mit meinem nicht reden.
Ich hatte zwischendurch auch den Verdacht gehabt, daß die USB-Anschlüsse – ich hatte alle drei durchprobiert gehabt – kaputt sein könnten, vielleicht sogar der USB-Controller. Aber dann hätte das 32-bit-System vom Stick nicht starten können, auch nicht ins Installationsmenü.
Der neu gemachte Stick wollte diesmal allerdings überhaupt nicht booten. Da war wohl beim Einrichten des Sticks was schiefgelaufen, und er wurde nochmals bespielt.
4. Runde: Mittlerweile waren etwa 2,5 Stunden vergangen, aber mit dem zum dritten Mal bespielten Stick konnte ich dann endlich das Installations-Image booten. Die Installation lief dann auch völlig schmerzfrei durch. Warum das vorher vom CD-Laufwerk nicht ging, muß ich wohl nicht verstehen.
Als das Grundsystem fertig installiert war, bekam ich vom Besitzer des Gerätes noch eine Liste nachzuinstallierender Programme. Und als die durch war, setzte sich der Besitzer zum ersten Mal selbst davor, um sich das ganze noch individuell anzupassen.
Damit begann des Dramas zweiter Akt.
Weil: Fällt Euch hier was auf?
Hint: Versucht damit mal, HTML-Code zu schreiben.
… Ja, genau. Die Taste mit den Zeichen <, > und |, die man auf deutschen Tastaturen üblicherweise zwischen Y und der linken Shift-Taste findet, ist hier schlicht nicht vorhanden; dafür fällt die Shift-Taste länger aus als üblich. Da nützt die korrekte deutsche Tastaturbelegung nichts, wenn die Tastatur die passenden Codes gar nicht senden kann, weil es die Taste dafür nicht gibt. Nein, eine amerikanische Tastaturbelegung kam hier aus Gründen nicht in Frage (da liegen < und > über , und . rechts neben dem M).
Ich suchte im Netz nach passenden Lösungen und bekam von Nutzern auf Twitter und GNUsocial Rückmeldungen, daß es durchaus X220-Varianten mit einer deutschen Tastatur inclusive der hier fehlenden Taste gibt. Auf GNUsocial ergab sich dieser Thread: !TIL: ThinkPad X220 has no key for <|> on its (German) keyboard. Who are users supposed to write HTML with that? m( (Englisch, weil die Gruppe !TIL („Today I Learned …“) englischsprachig ist).
Als ich dann auf Twitter das obige Foto postete, bekam ich diese Antwort:
Dominik George @Natureshadow
@AtariFrosch Wah? Das ist ja bescheuert ... Aber das ist nicht die normale Tastatur!
Stimmt, auch wenn sie auf der Rechnung als „Original-Tastatur deutsch“ bezeichnet wird. Die Erklärung kam dann über Google+: TIL: Die Tastatur des Lenovo ThinkPad X220 hat die Taste für <|> nicht mehr. Wie soll man damit HTML schreiben? m(. Frank Paulsen kommentierte:
die originaltastatur 45N2153 hat diese taste am gewohnten platz. es gibt "renew"-tastaturen, die aus neubeschrifteten US oder UK-keyboards erstellt werden, und die haben dann keine taste zwischen Shift und "Y", sowie eine andere Enter-taste. vermutlich sahst du ein geraet von lapstore.de...
Treffer, versenkt. Dieses X220 stammt tatsächlich von dort.
Ergebnis: Der Besitzer wird versuchen, bei Lapstore eine „normale“ Tastatur mit dieser Taste zu bekommen. Auf das Ergebnis bin ich gespannt. Wenn das gar nicht geht, wird er das X220 wohl zurückgeben wollen, denn damit kann man ja nicht arbeiten, wenn man Dinge auf der Konsole erledigen und/oder Webseiten schreiben will.
[Update 2015-10-26 21:00] Wie ich heute erfuhr, hat Lapstore die Tastatur anstandslos und sehr flott ausgetauscht; die Austausch-Tastatur kam heute beim Besitzer des X220 an. Lapstore erklärte, man nehme Reklamationen sehr ernst. Offenbar will man vor allem schlechte Bewertungen auf den einschlägigen Handelsplattformen vermeiden.
Die nicht ganz so originale Renew-Tastatur wollten sie allerdings unbedingt wiederhaben. Man könnte jetzt ein wenig bissig mutmaßen, daß die dann wohl für den nächsten Kunden ist, der die fehlende Taste hoffentlich nicht benötigt. Oder die Tastatur wird mit entsprechenden Tastenkappen wieder auf US/UK umgemodelt. Ganz so neu scheint das Prinzip „wir liefern eine Tastatur mit fehlender Taste trotzdem als original deutsche Tastatur aus“ ja nicht zu sein … [/Update]
19. Oktober 2015 at 1:33
Bezüglich der Tastaturbelegung kann ich die English US/International-Tastaturbelegung nahe legen, gerade für Programmierung, da viele Tasten leichter erreichbar sind. Unsere Umlaute erreicht man dann bspw. per Alt Gr+(Shift+)q/p/z (bei dt. Beschriftung)/s (=ä/Ä, ö/Ö, ü/Ü, ß).
Häufig benutzte Zeichen wie []{}; sind alle leichter erreichbar und Zeichen mit Akzenten lassen sich ebenfalls weitaus besser erzeugen. Je nach System (hier unter X/KDE) kann man noch per Compose-Taste (hier auf die Windows-Menü-Taste gelegt) viele Zeichen mehr recht intuitiv eingeben (bspw. Compose+.+.+. für …).
Schöner ist es trotzdem noch die zusätzliche Taste zu haben und mir gefällt die deutsche Tastenanordnung auch besser … aber die deutsche Belegung würde ich trotzdem eher nicht nutzen 🙂
19. Oktober 2015 at 2:33
@Thomas Luzat: Also, wenn man schon eine Tastaturbelegung zum Programmieren haben will, dann nimmt man doch direkt http://neo-layout.org, bitteschön!
19. Oktober 2015 at 3:01
Schon bemerkenswert, dass man nach so vielen Jahren USB noch viel zu oft auf derartige Probleme stößt. Mein Desktop Mainboard weigert sich z.B. standhaft von normal formatierten USB Sticks zu booten…
> Dazu sollte man beim Booten die blaue ThinkVantage-Taste gedrückt halten. Auf den Tastendruck reagierte das X220 aber einfach mal gar nicht.
Die Return Taste sollte übrigens denselben Effekt haben (und die reagiert ordentlich). Danach Zeigt er einem an was man drücken kann. Interessant, dass es wohl manchmal auch direkt mit F1 zu klappen scheint.
> OK, könnte vielleicht daran gelegen haben, daß das die 32-bit-Version war und der Rechner ein 64-bit-System.
Sollte ja eigentlich gehen, möglicherweise hat er sich da irgendwie am UEFI verschluckt. Allerdings gibt es sowiso kaum noch einen Grund ein 32bit Linux auf ein 64bit System zu installieren.
> „Original-Tastatur deutsch“ bezeichnet wird.
Das ist schon frech eine derart umbeschriftete US Tastatur so zu verkaufen. Das ist nicht nur nicht original, sondern vor allem auch kein deutsches Layout und wird auch nie eins.
19. Oktober 2015 at 14:14
She ich zum ersten Mal, ich habe schon mehrere Lenovo gebraucht erworben.
Gut zu wissen und bei nächsten Mal aufpassen.
Ansonsten schliesse ich mich catdog2 an, Frechheit
19. Oktober 2015 at 16:35
Mein alter T42 machte keine Probleme 😉
Schon dreist. Aber man kann ja die Tastatur relativ leicht umdefinieren.
Die Webseite von Neo2 sagt: „Neo2 ist mittlerweile „per default“ in den meisten Distributionen enthalten“.
19. Oktober 2015 at 23:44
Kinners, wenn jemand > 30 Jahre lang auf QWERTZ geschrieben hat, wird er sich eher nicht mehr auf QWERTY oder gar ein völlig anderes Tastatur-Layout umstellen. Schon gar nicht wegen einer fehlenden Taste. 😉 (Gilt sowohl für den Besitzer des X220 als auch für mich.)
21. Oktober 2015 at 11:59
Abgesehen davon, daß die fehlende Taste nervt (kenne ähnliche Probleme), empfehle ich das (Linux) Programm „OnBoard“, das eine Tastatur auf dem Bildschirm einblenden kann, über die man alle fehlenden Zeichen dann doch noch eingeben kann. Umständlich, aber manchmal eine Alternative (wenn Umtausch nicht möglich).
24. Oktober 2015 at 14:22
Hey Frosch!
Irgendwie finde ich deinen Artikel wirklich erstaunlich. Jetzt gerade schreibe ich diesen Kommentar mit meinem ThinkPad X220 welches ebenfalls mit der aktuellen Version von debian GNU/Linux läuft.
Ich habe es damals mit einem externen DVD-Laufwerk über USB installiert und es gab darüber einfach nichts zu bloggen, denn es lief an Anhieb!
Die Tastatur auf deinem Foto sieht allerdings wirklich völlig anders aus als meine!
Das kann ich absolut nachvollziehen und so würde ich auch handeln! Sollte sich hier etwas Neues ergeben, würde ich mich über ein Update in deinem Blog freuen!
Viele Grüße!!
2. Oktober 2018 at 9:31
Hi,
ich bin über deinen Blog-Artikel gestolpert, weil ich mir letzten Monat ein Thinkpad X201 mit refurbishter Tastatur gekauft habe.
Unter Linux habe ich die Windows-Taste einfach mit dem Keycode für die <|>-Taste belegt. Dann kann man damit auch arbeiten. Falls jemand mal vor einem ähnlichen Problem stehen sollte und so wie ich über deinen Blog stolpert: https://www.datenteiler.de/tastatur-ohne-pipe-zeichen/
Viele Grüße
Christian
30. März 2023 at 19:29
Apropos Stolperfallen: Ich landete hier, weil es fürs X220 (ja, das Ding nehm ich mit ins Grab, ich schwörs! 😉 wohl drei verschiedene, untereinander inkompatible Original(!)-Tastaturen verschiedener Hersteller gibt. Und die Händler auf „diversen Handelsplattformen“ lustig die falschen unter der falschen FRU verkaufen.
Für ⅓ des Preises den ich fürs gesamte Gerät (gebraucht) gezahlt hatte auch noch.
Da freut man sich doch!
OK, zumindest Morgen nicht. Denn ich habe alle Angebote gemeldet. XD