Shutdown
13. November 2015 um 20:16 Uhr von Atari-Frosch
Was passiert, wenn !autismus und chronische Depression auf Repressionsämter und ihren Papierkrieg stoßen: Heute zum ersten Mal in meinen eigenen vier Wänden einen Overload bis kurz vom Shutdown gehabt. Overloads hatte ich hier schon, von Shutdown waren die aber weit entfernt. 🙁
– schrieb ich vorhin auf GNUsocial. (!autismus ist da eine Gruppe, die ich dort vor einiger Zeit angelegt hatte.)
Nachdem ich gestern Vormittag beim anderen Repressionsamt war, um den Sozialhilfeantrag zu stellen, kam ich bereits mit einem Overload nach Hause. Dem ersten für den Tag. Es wird mal wieder eine Menge Papier verlangt, das teils von Dritten zu beschaffen ist, und außerdem hätte ich den falschen Antragsvordruck heruntergeladen und ausgefüllt. Es wäre sonst vermutlich mal wieder zu einfach.
Insbesondere wollte man eine Vermieterbescheinigung haben. Oh nein, nicht einfach die Meldebescheinigung, die, ich glaube, ab 1. Januar 2016 für alle Vermieter Pflicht ist, sondern einen zweiseitigen Vordruck, der ausführlich die Zusammensetzung der Miete, das Alter des Hauses und weitere Daten abfragt. Und damit auch das nicht zu einfach wird, gab man mir dafür einen schief fotokopierten Vordruck aus dem Jahr 1999 mit, der außer Euro auch noch D-Mark kennt. Online als PDF? Fehlanzeige. Ich hatte nur die Papierversion. Sonst hätte ich das PDF oder einen Link dorthin ja einfach der Hausverwaltung mit der E-Mail mitschicken können, mit der ich dort mitteilte, daß und warum ich schon wieder keine Miete bezahlen kann.
Ich mußte den Vordruck also per Post schicken. Die Post hat aber vor einiger Zeit das Porto erhöht, und da ich extrem selten Briefe verschicke, waren meine Briefmarken noch von vor der Erhöhung: 58 statt 62 Cent. Ich brauchte also Ergänzungsmarken. Am Fürstenplatz unten ist zwar ein Briefkasten, aber kein Briefmarkenautomat. Also lief ich wegen vier Cent zum Hauptbahnhof, dort an der Post sind drei Automaten (bzw. außerhalb der Öffnungszeiten nur einer, weil zwei davon innen stehen). Sind ja „nur“ laut Google Maps 1,1 km (pro Richtung). 1100 Meter durch viele Menschen, während ich nervlich schon ziemlich runter war.
Ich nahm dann lieber gleich zwei Ergänzungsmarken und war froh, daß der Automat tatsächlich auch Kupferstücke nimmt, so mußte ich buchstäblich keinen Cent zu viel ausgeben.
Wie ich den Rückweg geschafft habe, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß meine Aufmerksamkeit definitiv nicht hoch genug für den Aufenthalt im öffentlichen Straßenraum war. Und daß ich das Glück hatte, trotzdem heil und am Stück nach Hause zu kommen. Das war der zweite Overload, der war schon eine Ecke stärker.
Nach der Rückkehr habe ich das Papier dann noch überflogen, dann aber erst einmal beiseite gelegt. War auch besser so.
Atari-Frosch @AtariFrosch
Mehrere Papierdinge erledigt, zweimal unterwegs gewesen, aber überhaupt nicht zufrieden, sondern nur müde …
Heute wollte ich dann in diesen zweiten Papierkrieg ziehen (der erste ist ja das Gedöns gegen das ARGE). Ich füllte den – wieder mal viel zu klein bedruckten – Antrag aus und notierte mir auf einem Zettel, welche Unterlagen ich dazu noch brauche. Schon währenddessen kam der Overload. Als ich dann ans ebenfalls geforderte Vermögensverzeichnis gehen wollte, ging plötzlich nichts mehr.
Ich wollte noch jemanden anrufen, um um Hilfe zu bitten, aber ich konnte nicht mehr richtig reden. Mir gingen die Worte aus, ich wurde fast vollständig nonverbal. Diesen Zustand hatte ich schon lange nicht mehr gehabt. Mehr noch: Ich hatte ihn noch nie in meiner eigenen Wohnung gehabt.
Atari-Frosch @AtariFrosch
Overload galore. Ich möchte dann bitte schreiend im Kreis rennen. #papierkrieg
Lesen ging dann auch nicht mehr richtig. Drei, vier Wörter am Stück, dann zerfloß sämtliche Bedeutung. An dem Punkt blieb nur noch, einfach mit allem aufzuhören und gar nicht mehr zu versuchen, noch irgendwie weiterzumachen.
Shutdown. Das heißt: Zusammenbruch, Kontrollverlust, Handlungsunfähigkeit. Das Gehirn nimmt ungefiltert alle eingehenden Signale auf, verarbeitet sie aber nicht mehr, und es kann auch keine Befehle mehr an die Muskeln aussenden. Ich war im letzten Moment davor gewesen und tat das einzige, was noch ging.
Atari-Frosch @AtariFrosch
Verbale Sprache schwindet, gelesenes kann ich kaum noch erfassen. Ich leg mich erst nochmal hin.
Der Vorteil war ja immerhin, daß ich mich auch direkt zurückziehen konnte, ohne mich vorher verbal erklären zu müssen. In einer anderen Umgebung wird das an der Stelle schon extrem schwer.
Dabei ließ mich auch mein Zeitgefühl völlig im Stich: Als ich wieder aufstand, dachte ich, es müßten so etwa drei Stunden vergangen sein, dabei war es nur eine gute Stunde gewesen. Immerhin war die Sprache dann wieder da. Das Papier habe ich aber auch heute nicht mehr wieder angefaßt.
Wenn ich sowas einem Arzt erzähle, oder gar einem Gutachter, wird die behauptete Erwerbsunfähigkeit festgenagelt. Ich unterstelle mal, daß auch der Gutachter des Sozialgerichts oder der Rentenversicherung, wer immer mich im Verfahren gegen das ARGE in Augenschein nehmen wird, Autismus nicht versteht, und auch nicht, daß das mit meiner Leistungsfähigkeit in meinem Berufsfeld gar nichts zu tun hat.
Dazu habe ich vor einiger Zeit einen Text gelesen, der das Problem ganz gut wiedergibt: Schritt Neun von BloOsPlanet.
Heute weiß ich, welchen Zustand ich erreichen will. Was Sinn und Glück für mich bedeutet und sowohl Sinn, Glück und auch Belohnung liegt für mich in der Tätigkeit selbst und nicht in irgendwas, was außerhalb statt findet. Ich kann diese Assoziation auch gar nicht ziehen. Darum erlebe ich auch keine Ziefriedenheit, wenn ich eine für mich schwierige und unliebsame Aufgabe erledige. Daher entspanne ich mich nicht danach und bin auch nicht stolz auf mich. Denn ich kann diese Zufriedenheit, diesen Stolz auf mich, nur aus dem Moment selbst ziehen. Ich kann ihn nicht auf später verschieben.
Sie spricht auch vom Flow, was ich als Hyperfokus kenne, und wie wichtig das ist. Das ist entspannender als Schlaf, so entspannend wie Urlaub. Ich habe seit Jahren kaum noch die Möglichkeit, durch die Beschäftigung mit den „richtigen“ Dingen in diesen Zustand zu kommen, und das fehlt mir unglaublich. So, als würde man einem Menschen ständig den Schlaf entziehen.
Mein jetziger Zustand sagt mir jedenfalls, daß sich dringend etwas ändern muß, und gleichzeitig weiß ich, daß ich weder die Kraft noch die Macht dazu habe, diese notwendige Veränderung herbeizuführen.
13. November 2015 at 19:25
@atarifrosch scheiße :/ pass auf dich auf!
13. November 2015 at 20:02
Ich versuch’s …
13. November 2015 at 21:29
Geb Laut, wenn wir helfen können @atarifrosch
13. November 2015 at 21:41
Danke <3 – Für das Papier hab ich mittlerweile Hilfe, morgen kommt eine liebe Freundin zu mir.
14. November 2015 at 20:35
Hi,
es gibt einen Weg längerfristig Unterstützung zu bekommen, wenn gleich der Schritt dazu nicht leicht fällt, musst du ihn selbst einleiten und durch die anfänglichen Extrabaustelle gehen:
Stelle beim zuständigen Familiengericht den Antrag auf einen Betreuer für finanzielle und Behördenangelegenheiten.
Kurzes Anschreiben um was es geht, dass du nicht mehr zurecht kommst und auch privat nicht immer Hilfe organisieren kannst und dann drucke doch die betreffenden Beiträge von hier grade aus und lege sie bei (mit Angabe dass sie von deinem Blog kommen, also von dir allein verfasst wurden).
Ein solcher Betreuer ist unabhängig von ARGE und Sozialamt und sollte wissen, wie er mit denen umgeht. Es sieht sogar so aus, dass die auf dem Amt meist schon den Kopf einziehen, wenn die nur Betreuer hören.
Betreuer hört sich radikal an und man denkt dabei möglicherweise gleich an alte demente Leute oder dass der über deinen Kopf entscheidet, dem ist aber nicht so. Im Netz finden sich diverse Infos zu dem Thema Betreuung, schau es dir an.
… wichtig ist: Zuständig ist dein Familiengericht. Du musst dich direkt dorthin wenden, am besten per Brief, es geht aber auch per E-Mail.
Keine leichte Entscheidung, aber ich hoffe das hilft!
14. November 2015 at 20:54
@SackOhneSenf: Nein, das kommt für mich überhaupt nicht in Betracht. Denn: Ich kann mit Geld umgehen, verdammt gut sogar, solange Ämter und Gläubiger nicht meinen, Gesetze gälten für sie nicht und sie könnten mir beliebig Geld entziehen. Könnte ich nicht mit Geld umgehen, dann hätte ich die letzten zehn Jahre bestimmt nicht überstanden.
Meine Unabhängigkeit – oder das, was davon übriggeblieben ist – ist mir äußerst wichtig. Nicht ich habe ein Problem mit Geld und Behördenangelegenheiten, sondern es werden mir völlig überflüssigerweise welche gemacht.
21. November 2015 at 2:57
Eine Gesetzliche Betreuung nach BGB § 1896 f.f. ist aus unterschiedlichsten Gründen sicher ein schlecht Rat. Venn schon einen Verfahrens Bevollmächtigten nach SGB X § 13.
Das kann im Grunde jeder machen solange dieser keine Rechtsgeschäfte abschließt.
JO