Ausgebrannt.
6. April 2016 um 18:35 Uhr von Atari-Frosch
Es passiert schon seit Wochen. Und ich wundere mich fast, daß es „erst“ seit ein paar Wochen passiert. Es kommt in Schüben, und jeder Schub ist härter. Und länger. Und ich kann nur hilflos auf den Totalzusammenbruch warten.
Ich bin ausgebrannt.
Der aktuelle Schub läuft schon seit etwa drei Wochen. Das Aufstehen ist so schwer, daß es mich schon einen wesentlichen Teil meiner verbliebenen Tagesenergie kostet. Bin ich mal raus, laufen Routinen an, die noch funktionieren: Duschen, Frühstück, PC booten, einloggen, X starten, IRC, Mail, XTerminal, Browser aufrufen. Der Browser öffnet automatisch die Tabs zu Tweetdeck, GNUsocial, Google Plus und das Dashboard von zwei Blogs.
Und spätestens nach den Routine-Aufgaben – Spam aussortieren, Mails lesen, ggf. DMs lesen, ein bißchen Twitter und ein paar Zeitungsartikel – fange ich schon wieder an zu gähnen. Meistens könnte ich an dem Punkt dann direkt wieder ins Bett gehen. Statt dessen lese ich meist mit mühsam aufgehaltenen Augen weiter und befülle die Linklisten hier und bei den Besorgten Bürgern. Erst spät nachts gibt es mal so bis zu zwei Stunden, in denen ich mich etwas wacher fühle.
Nach außen sieht man das vermutlich nicht so. Nach außen funktionieren noch die Masken. Ohne meine wenigen verbleibenden Routinen gäbe es auch die Masken nicht mehr.
Glaubt jemand im Ernst, 2,5 Jahre Existenzvernichtungsversuche durch Repressionsbehörden bleiben folgenlos?
Und es ist ja nicht nur das. Es ist auch die ständige Unsicherheit, wie es grundsätzlich weitergehen soll. Von Planungen reden wir dabei noch gar nicht.
Im Februar mußte ich erst die Wohnungskündigung bekommen, damit sich ein Amt dazu bequemte, mal die Miete, auch die rückständige, auszubezahlen. Die Kündigung wurde zurückgenommen, aber das Damoklesschwert bleibt.
Im März bekam ich dann mal einen Bescheid vom faschistischen Repressionsamt (AKA „Sozialamt“), daß man bis 31. März be- und nachzahlen werde. Und dann? Bis Ende März wußte ich von gar nichts. Dann erfuhr ich, daß man am 30. März das Geld für April „angewiesen“ hatte. Das hätte am 1. April gemäß der Banklaufzeiten da sein müssen. Dann war Wochenende, da buchen Banken ja nicht. Montag kam es auch nicht. Dienstag, also gestern, war es dann endlich da. Einen Bescheid habe ich nicht, ob ich nächsten Monat wieder Geld bekomme, weiß ich nicht.
So darf ich jetzt Monat um Monat in Unsicherheit leben, ob da was kommt oder nicht, bis die Hauptsache entschieden wird. Die Hauptsache, also die Klage gegen den Versuch, mich in die Rente zu zwingen. Die Klage wurde im November 2015 erhoben. Ich glaube nicht, daß es den Termin dazu noch in diesem Jahr geben wird; anderthalb bis zwei Jahre Wartezeit beim Sozialgericht sind völlig normal.
Niemand kann irgend etwas planen, wenn nie klar ist, ob im nächsten Monat die Existenzgrundlage gesichert ist oder die Anwältin erst mal wieder das Sozialgericht mit Anträgen auf Einstweilige Verfügung bewerfen muß.
So gibt es keine Zukunft.
Aber stimmt ja, Leistungsbeansprucher sollen ja nichts planen können. Sie sollen sich gefälligst von anderen verplanen lassen, nicht wahr? Auch wenn der Plan vorsieht, daß das Opfer aus den Statistiken verschwinden soll, egal wie.
Das Perverse daran ist, daß das ARGE damit erstmal genau das erreicht hat, was sie ursprünglich lügenderweise behaupteten: Meine Arbeitsfähigkeit ist derzeit quasi nicht vorhanden. Wer aufstockt, wird erledigt. Wer mittelfristig seinen eigenen Arbeitsplatz schaffen will, statt dem Arbeitsmarkt – sprich, dem Niedriglohnsektor und den Zeitarbeitsfirmen – zur Verfügung zu stehen, der ist unerwünscht.
So nach dem Motto: „Oh, Sie wollten auf einen Marathon? Toll, wir brechen Ihnen erstmal die Beine.“
Oder wie es jemand, bezogen auf Claudius Holler, auf Twitter formulierte:
Jörg Preisendörfer @jpreisendoerfer
Was Leute,die @C_Holler Alg2 empfehlen,nicht verstehen: Ein »JobCenter« wird jedes seiner Projekte in Scheiße verwandeln. #hollerkaputt #BGE
Und die Projekte sind erst der Anfang. Das „JobCenter“ würde letztendlich sein ganzes Leben in Scheiße verwandeln. So wie meines. So wie das von Millionen anderer Leistungsbezieher, die nichts dafür können, darauf angewiesen zu sein.
Ich fragte letztens meine Anwältin, ob die Repressionsämter mich in Zukunft eher in Ruhe lassen würden, wenn sie wissen, daß sie immer wieder Contra bekommen und letztendlich dann doch bezahlen müssen. Sie meinte: Nein, sie werden nicht lernen. Sie werden wie bisher weitermachen.
Klar, es kostet sie ja auch nichts. Der Steuerzahler bezahlt es doch gerne, wenn Ämter „überflüssige“ Menschen vernichten und dabei umfangreiche Gerichts- und Anwaltskosten auflaufen. So wie die asoziale Bundesregierung das wollte und will. Glaubt hier noch jemand an den Sozialstaat, an die Anwendung des im Grundgesetz festgelegten Sozialstaatsprinzips?
…
Ich bin ausgebrannt, Dinge bleiben liegen, selbst die, die mir sonst Spaß machen. Ich habe keine Kraft mehr.
6. April 2016 at 19:58
Manchmal denke ich, daß Du da einfach weg musst.
Hier z.B. ist vieles anders, als ich aus Neuss bzw. MG noch gewohnt bin und sie gehen recht fair mit mir um. Da bin ich ganz ähnliche Schoten gewohnt, wie sie Dir immer wieder zugemutet werden. Allerdings kann sich das nächsten Monat, wenn ich vom Gemeindesozialamt zum Kreissozialamt wechseln muss, ändern.
Ich wünsche Dir, daß Dir die Kraft nicht ausgeht und kann nur sagen: Du bist nicht allein!
7. April 2016 at 16:29
@MarkusK.: Ja, daß ich hier weg sollte, geht mir auch schon länger im Kopf herum. Neben all dem Streß kann ich ja auch den Großstadt-Lärm nicht mehr filtern, weil mir die letzten Reizfilter wegbrechen.
Als ich im Oktober nach Greifswald eingeladen war, dachte ich mir, da oder generell im nördlichen Mecklenburg-Vorpommern in Ostsee-Nähe gäbe es vielleicht einen Ort, an dem ich wieder zur Ruhe kommen könnte. Aber ein Umzug aus Düsseldorf heraus ist leider finanziell undenkbar. Da ich am Zielort (egal wo der ist) keinen Arbeitsvertrag nachweisen kann, bekomme ich dafür keinerlei Unterstützung. Und die hiesige Wohnung müßte ja auch renoviert werden.
Ein Umzug würde außerdem bedeuten, erst einmal alle Routinen zu verlieren, also die letzten Stützen. Das kann ich nur riskieren, wenn ich am Ziel deutlich bessere Gesamt-Bedingungen vorfinde. Deshalb habe ich bisher bei Umzugsforderungen der Ämter immer ein Attest mit einem „geht nicht“ vorgelegt.
Hier würde ich außerdem nur Mini-Wohnungen bekommen. Als alleinstehender Person stehen mir offiziell 45 bis 50 m² zu; der Mietsatz, der Leistungsempfängern zuerkannt wird, konterkariert das allerdings. Auf dem freien Wohnungsmarkt gibt es dafür gerade mal 20 m², wenn überhaupt.
Mich in dem Bereich, der meinen Lebensmittelpunkt darstellt, so überhaupt nicht bewegen zu können, würde die Situation nun nicht gerade verbessern. Umgekehrt liegen die wenigen Wohnungen, die das Wohnungsamt als Notreserve hat, wieder an Hauptstraßen mit viel Lärm. Gerade davon muß ich aber weg.
Im nördlichen Meck-Pomm sieht das deutlich entspannter aus. Die Mieten sind ein ganzes Stück niedriger als hier, und es gibt wohl mehr an freien Wohnungen, die sowohl in Quadratmeterzahl als auch in der Miethöhe vom ARGE anerkannt würden, auch wenn die Wohnungssuche auch dort nicht einfach sein dürfte. Hier in der Ecke erscheint sie mir quasi unmöglich, ergo sinnlos.
7. April 2016 at 20:50
Ich habe vor etlichen Jahren im Fernsehen eine Talkshow gesehen, in der der der Fußball-Schiedsrichter Robert Hoyzer und Schlagersängerin Michelle saßen (ich glaube, es war bei Reinhold Beckmann). Es ging dabei um Menschen, die vor einem Berg Schulden stehen und keine Perspektive haben.
Zu der Zeit war gerade der Fußball-Wettskandal aufgeflogen. Robert Hoyzer hatte sich mit Anfang 20 vom großen Geld blenden lassen, hatte sich bestechen lassen und entsprechend falsche Entscheidungen als Schiedrichter getroffen. Schlagersängerin Michelle hatte durch ihren Erfolg quasi im Geld geschwommen, dies mit vollen Händen aufgegeben, war dann auch noch an falsche Freunde und Finanzberater geraten, und stand nun mit einem Batzen Schulden da.
In der Sendung wurde zunächst Schlagersängerin Michelle interviewt, dann kam Robert Hoyzer. Robert Hoyzer stand nun vor den Scherben seines jungen Lebens und sah überhaupt keine Perspektive für sich. Und in dieses Interview mit Robert Hoyzer hat sich immer wieder Michelle eingemischt und versucht, den Mann aufzumuntern, ihm zu vermitteln, daß es doch wieder aufwärts geht, daß sie selbst auch mal nicht weiterwusste, etc.
Ich habe da vor der Mattscheibe gesessen und gedacht „Watt redet die da für einen Stuss?“. Denn Michelle war ja bloß verschuldet, sie hätte zur Not auch Privatinsolvenz anmelden können, auf jeden Fall konnte sie weiter auftreten und singen, sie hatte treue Fans und insofern auch eine Perspektive sicherer Einnahmen. Gegen Robert Hoyzer standen dagegen Vorwürfe des Betrugs im Raum, also richtige Straftaten, und entsprechend Schadensersatzforderungen. Gegen Schulden aus Straftaten hilft auch keine Privatinsolvenz, und außerdem war für Robert Hoyzer auch die komplette berufliche Perspektive zusammengebrochen. Er stand quasi zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn bereits vor einem Scherbenhaufen. Da machte die Schlagersängerin Michelle mit ihren Sprüchen einen ziemlich naiven Eindruck auf mich.
Später habe ich da öfters drüber nachgedacht und habe gedacht: Nein, so naiv war das ja doch nicht. Es waren ganz allgemeine Lebensweisheiten. Wenn man sich ganz unten fühlt, wenn man keine Perspektive sieht, darf man sich trotzdem nicht aufgeben. Denn irgendwann findet sich doch wieder eine Lösung, und dann geht es wieder aufwärts.
Selbst dann, wenn auch andere Menschen einen schon aufgegeben haben, wenn sie eine positive Perspektive für naiv halten, gibt es doch immer wieder überraschende Wendungen im Leben. Plötzlich öffnen sich neue Türen, die man vorher gar nicht gesehen hat, die vielleicht vorher tatsächlich noch gar nicht existiert haben. Plötzlich bekommt man Hilfe von Menschen, bei denen man niemals damit gerechnet hätte.
Wir können alle nicht in die Zukunft sehen. Wir können in einem tiefen Tal drinstecken für Tage, für Wochen, für Monate, für Jahre. Wir wissen nicht, wie lange das so weitergehen wird. Wir sehen keinen Ausweg. Und dann gibt es auf einmal ein besonderes Ereignis, eine plötzliche Wendung im Leben, und es geht doch wieder aufwärts.
7. April 2016 at 22:33
Ja Frosch, ich weiß wie schwer das ist. Ich hab ja damals bei der Rückkehr aus CH auch mehr Glück als Verstand gehabt und ein paar helfende Hände im Hintergrund.
Der Gedanke, daß Du da raus musst, kam mir nur immer wieder, wenn bei mir der Eindruck entstand, daß Du dort in Dssd durch die Bekloppten beim Amt nur unnötigen Streß auf eine ohnehin schon schwierige Konstellation obenauf bekommst.
Eine einfache Lösung wollte ich gar nicht in den Raum stellen, eher mitteilen, daß ich sehe, daß da etwas sehr schief läuft und es anders sein kann, wenn man an anständige Leute beim Amt gerät.
8. April 2016 at 16:57
Hi,
wollte Dir nur sagen das ich Deinen Blog regelmäßig im Plante vom Debian Forum lese, und Dir viel Kraft wünsche.
Ich selbst war nur mal etwas weniger als ein Jahr auf das Amt angewiesen, und selbst diese Zeit hat mir psychisch ganz schön zugesetzt, was ich vorher nie erwartet hätte. Es macht mich betroffen und wütend, was Dir passiert.
Bitte lass Dich nicht unterkriegen und versuch den Ärger nicht an Dich ran zu lassen.
Es ist schlimm genug, das dir der Geldhahn zugedreht werden kann, aber lass dich nicht psychisch von der Situation fertig machen. Du bist großartig, und es gibt genug Menschen die das auch sehen.
10. April 2016 at 8:43
Ich kann schon nachvollziehen was du durch machst, als ehemaliger Burnout-Patient.
Ich kann dir vielleicht einen Tipp geben, was bei mir wunderbar funktionierte.
Wenn du willst das sich etwas ändert, muss zuerst bei dir sich etwas ändern.
Was sich ändern soll, liegt ganz bei dir. Dein Leben kenne ich nicht, aber wenn ich deine Routine so lese und ich hatte es ähnlich, wirf die PCs weg. Du meinst das sie dir noch Kraft geben? In Wahrheit saugen sie auch die letzten Reserven aus dir raus. Du meinst, dann bekommst du nicht mehr alles mit, was in der Welt so ist? Gut so!
Höre nicht auf hohle „Wir wünschen dir ganz viel Kraft“-gerede. Ist zwar gut gemeint, hilft nur wenig bis gar nicht.
Ich will dir nur sagen, was dich vielleicht erwartet. Du wirst sehr hart an dir arbeiten. Fang neu an und fange nicht von vorne an.
10. April 2016 at 15:24
@Abbc: „Ich habe keine Ahnung von Deinem Leben, aber ich weiß ganz genau, was richtig für Dich ist, und was andere sagen, ist Unsinn.“ – Merkste selber, ne?
Die Diskrepanz zwischen „ich kann nicht mehr“ und „Du mußt was ändern“ ist Dir offenbar auch nicht aufgefallen.
10. April 2016 at 22:31
Wünsch dir alles Liebe, dass du schnell wieder aus dem Tal raus kommst.
Das mit dem wegziehen find ich einen guten Gedanken. Klar, momentan nicht Möglich aber vielleicht wenn du wieder Kraft dafür hast. Du bist doch bestimmt ganz gut vernetzt. Da gibt es doch sicher auch Leute die dich etwas besser kennen und denen du vertraust. Die könnten dir bei Umzug etc unter die Arme greifen. Kannst ja nochmal drüber nachdenken.
Gruß
Pepe
14. April 2016 at 16:53
Na, machen Sie es sich doch nicht schwerer als nötig. Wenn man Sie in Rente haben will, dann gehen Sie doch einfach. Erholen Sie sich und denken Sie an die höheren Zuverdienst Grenzen und die Chance einfach in Ruhe Ihr eigenes Ding machen zu können.
Machens Sies gut aber sorgen Sie doch erstmal fürs Überleben und ersparen sich selbst Konflikte, die kaum jemand dauerhaft aushalten kann.
Ja, man gibt dem Amt nach. Und ja, das ist übel. Ja da wird mit unfairen Methoden und Mitteln gearbeitet. Einige haben warscheinlich einen Beschluss über Sie gefasst und wollen das durchsetzen. Aber immerhin bleibt Ihnen am Ende ein Lebensunterhalt, wenn auch ein niedriger.
Wer im Leben einfach keinerlei Kompromisse machen will, der kämpft am Ende wie Don Quichote gegen Windmühlen. Das ist Teil des Problems.
Es könnte ja leichter werden wenn man es sich selbst als taktischen Rückzug anrechnet. Man ist ja nicht auf Dauer Rentner, sondern kann sich auch wieder beruflich engagieren wenn die Gesundheit wieder mitspielt.
Ist immer so schwer Ihnen einen Rat zu geben, zumal Sie ja viele Meinungen von mir nicht hören wollten, so bleibt doch die Chance Toleranz zu üben und mir wenigstens diesmal zuzuhören 😀 – Nehmen Sie was Sie kriegen können und machen Sie ne Auszeit!
Danach können Sie immer noch weiter sehen!
Viel Erfolg
15. April 2016 at 18:54
@Küstennebel: Spielst Du mal wieder weiße Klowand? Was man sagt, kommt nicht an und wird ignoriert? – Meine Rente liegt unter dem Hartz-IV-Regelsatz, ergo reicht sie alleine nicht zum Leben. Und jetzt liest Du bitte § 82 SGB XII, bevor Du nochmal was vom tollen Nebenverdienst laberst.