Die Würde des Menschen
6. Februar 2017 um 15:29 Uhr von Atari-Frosch
Svenja Eck schrieb gestern auf Twitter: Eine Bamf-Entscheiderin im Interview mit dem @neon_mag. Ich lass das Mal so stehen. #Asyl
Dazu ein Foto mit einem Textauszug:
INGA ZEMPEL: „Ich denke nicht, dass ich über das Schicksal von jemandem entscheide. Schicksal ist ein krasser Begriff. Ich entscheide über einen Asylantrag. Natürlich ist der in dem Moment entscheidend für das weitere Leben des Antragstellers. Ich bin aber nur eine Sachbearbeiterin. Asylbewerber haben das Recht, gegen meine Entscheidung vorzugehen.“
Der Widerspruch in sich scheint ihr schonmal nicht aufzufallen: Sie entscheidet angeblich nicht über das Schicksal eines Menschen, aber ihre Entscheidung ist gleichzeitig eine über das weitere Leben des Antragstellers.
Das ist die gleiche Denke wie bei Mitarbeitern der ARGEn; das hatte ich ja schonmal in meinem Artikel Entmenschlichung von vor einem Jahr mit einem Tweet von @carridwen dargelegt, in welchem sie eine Jobcenter-Mitarbeiterin zitierte: „Man lernt das mit der Zeit, Anträge abzulehnen. Sind ja nur Zettel, da sitzen keine Menschen vor Ihnen.“
[Update 2017-02-06 18:05]
Jeder trägt Doppelmoral in sich. Es ist die eine Sache ihr mal in die Falle zu gehen, aber eine ganz andere, sich da nie zu hinterfragen.
— Gefühlsgier (@Zerdachtes) February 6, 2017
[/Update]
Schlimm genug, daß in den Repressionsämtern Leute sitzen, die so denken. Noch schlimmer, daß genauso getrimmte Leute über oft traumatisierte Menschen entscheiden dürfen, die alles hinter sich gelassen haben, weil sie keine andere Chance hatten.
DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST UNANTASTBAR. SIE ZU SCHÜTZEN UND ZU ACHTEN IST VERPFLICHTUNG ALLER STAATLICHEN GEWALT.
Das gilt natürlich genauso für jeden „kleinen“ Angestellten beim BAMF, bei einem ARGE, bei der Arbeitsagentur und bei allen anderen Behörden, welche Ausprägungen dessen sind, was das Grundgesetz einen Sozialstaat nennt.
Anstatt sich nun auf diesen höchsten Grundsatz unseres Staates zu berufen, schonen diese Angestellten ihr Gewissen – mit dem persönlichen Nutzen, den eigenen Arsch im Warmen zu haben – damit, daß sie den Menschen einfach gar nicht mehr sehen (wollen). Es ist nur Papier, oder ein Stapel davon; eine Akte; ein Fall. Was hinter der Papierkante passiert, ist nicht mehr relevant, betrifft sie nicht, dafür sind sie nicht verantwortlich.
Aber VERDAMMT NOCHMAL, um genau sowas, nämlich die Entmenschlichung von Individuen oder Gruppen zu verhindern, wurde Art. 1 des Grundgesetzes geschrieben! Aus der Erfahrung heraus, daß eine solche Entmenschlichung eines der Anfangsszenarien ist, die uns schon einmal in den Faschismus gebracht haben, und die ich deshalb ebenfalls bereits als faschistisch bezeichne.
Wenn das im regulären Betrieb (von Teilen) der Verwaltung keine Bedeutung mehr hat und ein solches menschenverachtendes Verhalten vom Gesetzgeber auch noch gefördert wird: Ist das Grundgesetz dann noch mehr wert als eine Rolle Klopapier?
Denn wenn das Grundgesetz innerhalb seines Einflußbereichs auch nur für einen einzigen Menschen (als eigentlich „Berechtigtem“) keine Bedeutung mehr hat, dann hat es für niemanden mehr eine Bedeutung, denn dann können sowohl Regierung und Parlamente als auch jeder einzelne Angestellte des Staates oder eines Bundeslandes beliebig darüber entscheiden, wer als nächstes herauszufallen hat.
Wehret den Anfängen, sagte unsere Elterngeneration. Es hat längst schon wieder begonnen.
Die größten Verbrechen der Menschheit kamen nicht deshalb zustande, weil einzelne Menschen die Befehle gaben, sondern weil so viele Menschen gedanken- und gewissenlos gehorchten. Und ja, oft auch aus Bequemlichkeit. „Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!“ (Günter Eich) – mit persönlicher Bequemlichkeit landen wir wieder in der Vergangenheit, die viele doch so gern lieber vergessen würden. Und mit der Menschenwürde fängt es an.