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Wähle, was Du wirklich willst!

6. Mai 2017 um 12:42 Uhr von Atari-Frosch

Es gibt leider eine Menge Leute, die starren auf Umfrageergebnisse vor Wahlen und gucken dann, wer „eine Chance“ hat. Bei einer Wahl geht es darum aber gerade nicht. Eine Wahl soll den Willen der Wähler ausdrücken.

Das heißt: Kipp diese ganzen Umfragen in den Gully, informiere Dich lieber, welche Partei Deine politischen Positionen und Überzeugungen am ehesten vertritt (100 % Übereinstimmung wird es wohl eher selten geben, selbst wenn Du Mitglied einer Partei bist) und gib dieser Partei Deine Stimme. Oder entsprechend dem Kandidaten, wenn es um Direktkandidaten geht.

Piratenpartei: Wähle, was Du wirklich willst!

Wenn Du nämlich danach entscheidest, wer aufgrund der Umfragewerte „reinkommen“ könnte, dann bestätigst Du nur diese Umfragewerte. Aber diese sind gar nicht so sehr vertrauenswürdig. Denn: Wer wird denn üblicherweise gefragt?

Für Telefonumfragen werden normalerweise so 1.000 bis 1.500 zufällig ausgewählte Telefonanschlüsse angerufen. Und zwar im allgemeinen nur Festnetzanschlüsse! Das heißt: Angerufen werden überhaupt nur Haushalte, die über einen Festnetzanschluß verfügen. Jetzt überleg mal: Hast Du noch einen? Und wieviele Leute in Deinem Umfeld haben noch einen? – Ich hab übrigens tatsächlich noch einen. Aber ich bin ja manchmal auch altmodisch. 😉

Das werden nämlich immer weniger. Gerade jüngere Leute telefonieren heutzutage viel eher mit einem Mobiltelefon oder Smartphone. Das heißt: Die fehlen in den Umfragen, weil sie nie angerufen werden. Denn auf Mobilfunknummern anzurufen kostet immer noch Geld. Wenn man nun die Hälfte der Anrufe auf Mobilfunknummern rausgehen ließe, würde sich das schon sammeln.

[Update 2017-05-06 21:00]

Das Kostenargument zieht hier aber wohl trotzdem, nur auf einer anderen Basis:

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Also: Erstmal werden nur Haushalte mit einem Festnetzanschluß angerufen. Somit sind diese Umfragen schonmal nicht mehr so wirklich repräsentativ. Dazu kommt, daß nicht jeder, der antwortet, auch dann tatsächlich wählen geht.

Und dann überhaupt: Anrufe. Anrufe, die einen unerwartet erreichen und in welchen dann mal eben nach irgendwas gefragt wird, lenken ab. Man ist gedanklich eigentlich gerade woanders und im Moment überhaupt nicht darauf eingerichtet, über Wahlen oder Politik nachzudenken. Ich weiß ja nicht, wieviele der Angerufenen dann einfach irgendwas sagen, um das Gespräch schnell zu beenden, ohne großartig nachzudenken.

Nein, Umfragen traue ich nicht.

Denn eines sagen sie mir nicht: Welche Partei vertritt nun eigentlich wirklich meine Interessen?

Dazu braucht es mindestens eine, optimalerweise aber zwei Informationsquellen pro Partei:

  1. das Wahlprogramm und
  2. das Abstimmungsverhalten in der letzten Legislaturperiode.

Natürlich kann es das zweitere nur geben, wenn eine Partei in der letzten Legislaturperiode überhaupt im entsprechenden Parlament vertreten war. Dann haben wir aber wenigstens noch das Wahlprogramm.

Also erstmal das Wahlprogramm. Die Wahlprogramme der Parteien gibt es üblicherweise auf deren Websites, und an Infoständen sollten sie auch in der gedruckten Version zu bekommen sein. Auch in den lokalen Geschäftsstellen der Parteien, sofern vorhanden, kann man zu den üblichen Bürozeiten sicher eines bekommen. Und ja, zu manchen Wahlen treten richtig viele Parteien bzw. Kandidaten an, da hat man dann schon einiges zu lesen. Wenn es um eine Personenwahl geht, kann man die Kandidaten vielleicht auch anrufen, anmailen, an Infoständen treffen oder anderweitig kontaktieren, um Details ihrer geplanten Politik zu erfragen.

Ja, das ist aufwendig. Aber weißt Du was? Demokratie ist aufwendig. Bequemlichkeit ist nicht Teil des Konzepts. Genauso wie die Freiheit hängt sie stark davon ab, wie gut die Menschen informiert sind.

So, jetzt haben wir also die Wahlprogramme der Parteien, oder zumindest einen Teil davon. Manche besorgst Du Dir ja jetzt vielleicht schon gar nicht, weil Du die entsprechenden Parteien schon gedanklich aussortiert hast. Die rechten zum Beispiel. Ich meine, wer will schon Parteien wählen, die die Grundrechte mit Demokratie, Freiheit usw. am liebsten schon gestern kaputtmachen würden?

Aber damit ist es nicht getan. Gerade bei den Parteien, die bereits Abgeordnete im entsprechenden Parlament sitzen haben, kann man nämlich noch überprüfen, wie ernst sie es mit ihren Wahlversprechen meinten. Also mit denen im letzten Wahlkampf zu diesem Parlament. Und das sollte man auch!

  • Wie haben sie denn tatsächlich abgestimmt?
  • Haben sie die grundgesetzlich garantierte Freiheit des Mandats wahrgenommen, oder haben sie sich durch Koalitionsverträge oder einfach, weil's der Fraktionsvorsitzende so bestimmt hat, dazu bringen lassen, entgegen ihrer zuvor geäußerten Überzeugungen zu stimmen?
  • Waren sie überhaupt regelmäßig im Plenum und ggf. in den Ausschüssen, oder haben sie doch öfter mal gefehlt, um private Termine wahrzunehmen? (Fehlen wegen Krankheit etc. sollte natürlich außen vor sein.)
  • Und: Was haben sie sonst noch so gemacht, mit wem haben sie zusammengearbeitet, von wem haben sie Geld bekommen, oder vielleicht eine Urlaubsreise, einen Besuch im Puff oder einen Vorstandsposten?

Schon beim Abstimmungsverhalten fängt es an, interessant zu werden. Haben die Abgeordneten einer Partei, die offiziell gegen die Vorratsdatenspeicherung ist, denn auch so abgestimmt, als ein entsprechender Antrag gestellt wurde? Erzählen sie in Sonntagsreden was von Inklusion, argumentieren und stimmen im Plenum dann aber dagegen, weil das halt nun mal Geld kostet? Sind sie nur so lange für eine vernünftige Verkehrspolitik, bis jemand sagt, daß der Autoverkehr eingedämmt werden muß? Versprechen sie auf ihrer Website, für regenerative Energien zu sein, stimmen dann aber für weiteren Braunkohleabbau?

Und aktiv: Wieviele und welche Anträge haben sie gestellt, wieviele und welche Anfragen an die jeweilige Regierung gerichtet? Sind sie mit den Antworten kritisch umgegangen oder haben sie sie einfach hingenommen?

Wahlprogramme und Wahlversprechen sind halt leider nur die halbe Miete. Und manchmal nicht einmal das.

Völlig unwichtig ist aber die Frage, ob die Partei oder die Kandidatin, die Du wählst, tatsächlich im jeweiligen Plenum Platz nehmen darf.

Warum?

Nochmal: Eine Wahl soll den Willen der Wähler ausdrücken.

Wenn die Partei, die Du wählst, nicht über die 5-%-Hürde kommt, dann hast Du trotzdem Deinen Willen ausgedrückt. Dann ist Dein Wille vermutlich – zumindest derzeit – eine Minderheitenmeinung. Aber es ist Dein Wille.

Du hast Deinen Willen aber nicht (unbedingt) ausgedrückt, wenn Du eine Partei wählst, nur weil sie voraussichtlich „sowieso“ ins Parlament kommt, obwohl Du mit ihren Zielen nicht oder zumindest nicht weit genug übereinstimmst. Das ist dann nicht Dein Wille. Und das ist nicht Sinn einer Wahl.

Wenn Partei X also den Umfragen nach sicher gewählt wird, aber der Erfahrung nach Anträge stellen oder solchen zustimmen wird, deren Ergebnis Dir schadet, dann ist es völlig unerheblich, wie sicher der Einzug eingeschätzt wird. Da gibt es ja vielleicht noch Partei Y, deren Einzug zwar vielleicht als unsicher gilt, aber mit der Du viel eher übereinstimmst. Ja, dann wähl' die doch! Mit jeder Stimme, die Partei Y dann tatsächlich bekommt, steigt die Wahrscheinlichkeit, daß sie eben doch ins Parlament einzieht. Und vielleicht sogar mit mehr als nur zwei Hanseln, so daß es für eine eigene Fraktion reicht.

Wenn alle Wähler die Parteien oder Kandidaten wählen, von denen sie sich wirklich vertreten fühlen würden, sähe die Zusammensetzung so manchen Parlaments mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr anders aus.

Nach Wahlumfragen zu gehen und dann darauf zu schauen, wer nach diesen „eine Chance“ hat, erzeugt eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, aber kein Parlament, das tatsächlich den Wählerwillen abbildet.

Achja, und überhaupt: Geh' bitte wählen. Es waren lange und viele Kämpfe mit vielen Toten nötig, um diese Errungenschaft zu erlangen: wählen zu dürfen. Und nochmal Kämpfe, damit es auch wirklich alle dürfen, und nicht nur weiße Männer.

Und in nicht ganz so wenigen Ländern der Erde kämpfen Menschen immer noch und riskieren teilweise ihr Leben, um wählen zu dürfen.

Wirf dieses Ding namens Demokratie also bitte nicht einfach weg, und sag' nicht, Wahlen könnten nichts ändern. Doch, schon. Man muß es nur tun, und zwar aus Überzeugung, nicht wegen „die kommen sowieso rein“ (und auch nicht, wie ich es schon erlebt habe, mit „die hamwer halt einfach schon immer jewählt“).

Danke.

Guck mich nich so an, ich hab Piraten gewählt!


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3 Kommentare zu “Wähle, was Du wirklich willst!”

  1. Andreas quakte:

    Du gehst wohl fälschlich davon aus, dass die Umfragewerte Antworten der Befragten sind. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Insofern ist es auch ziemlich egal, wer befragt wird.

    Entgegen der Behauptung hat übrigens Infratest dimap die BVB in Brandenburg als völlig chancenlos angesehn, obwohl sie letztlich in den Landtag gekommen sind. Wobei die Möglichkeit durchaus absehbar war. Ich bin nicht der Auffassung, dass man taktische Zwänge bei der Wahl völlig ignorieren sollte, aber blind glauben sollte man den Umfragewerten auch nicht.


  2. Atari-Frosch quakte:

    Oh? Wovon sollte ich sonst ausgehen? Aus den Fingern saugen werden sie sich das wohl nicht.


  3. Andreas quakte:

    Sind halt vorallem Erfahrungswerte und sonstiges Antwortverhalten (z.B. Kanzlerpräferenz oder Problemlösungskompetenz), wobei die Kontrollpunkte nicht allzu viele sind und die Institute nicht viel zu ihrer Methodik sagen. Für die Bundestagswahl veröffentlicht die Forschungsgruppe Wahlen auch die echten (gewichteten) Antworten als „politische Stimmung“; da kann man den Unterschied sehn (z.B. war die SPD im maximalen Schulz-Hype gemessen bei 42% und geschätzt bei 30%).


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