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Fassungslos

23. März 2018 um 15:18 Uhr von Atari-Frosch

Es macht mich immer wieder fassungslos, wie darauf reagiert wird, wenn ich die seit vielen Jahren bekannte Tatsache beschreibe, daß bei Repressionsämtern eingereichte Unterlagen – teils systematisch – verschwunden AKA unterschlagen werden. Denn es gibt nur zwei Arten von Reaktionen:

  1. Kann gar nicht sein, die machen sowas nicht. Und wenn was verschwindet, dann bestimmt nicht absichtlich.
  2. Ja, dann mußt Du halt gegen Quittung abgeben! Faxen! Einschreiben!

Im Oktober 2016 im Artikel Das Paradies auf Erden hatte ich geschrieben:

Diese systematische Unterschlagung von Unterlagen mit dem Ziel, Menschen obdachlos zu machen oder direkt in den Suizid zu treiben, ist seit 2004 durch die Verschiebung von Mitarbeitern von den „Sozialämtern“ in die ARGEn auch dort angekommen – und diese Praxis der verschwindenden Papiere ist seit über einem Jahrzehnt ein offenes Geheimnis, das auch die Sozialrechtsanwälte gut kennen.

Aber wenn man Strafanzeige wegen Unterschlagung stellt, weil Briefe aus dem Hausbriefkasten (!) nicht bei der Akte angekommen sind, dann zuckt die Staatsanwaltschaft mit den Schultern und sagt: „Nuja, es ist halt nicht angekommen“ und ermittelt gar nicht erst. Auch das hiesige Sozialgericht schloß sich dieser Ansicht an. Staatsanwaltschaften, Sozialgericht, zwei Petitionsausschüsse, ein Journalist und meine Anwältin wurden damals vom ARGE teils wiederholt belogen, und bis auf den Journalisten und meine Anwältin haben das alle brav geglaubt. Es hätte wohl zu viel Arbeit gemacht, dem mal wirklich nachzugehen (wer ist nun eigentlich faul, Erwerbslose oder Behörden und Petitionsausschüsse?).

Die beiden oben genannten Reaktionen lassen sich so aufdröseln:

Das erste ist Autoritäts- bzw. Obrigkeitsdenken. Der feste, aber realitätsferne Glaube daran, daß Behörden nie, nie, nie Fehler machen und wenn doch, gaaaanz bestimmt nicht absichtlich.

Zusätzlich wird damit (nicht nur) meine Erfahrung herabgesetzt, entwertet oder gar zur Einbildung heruntergestuft. Was nicht sein darf, kann eben auch nicht sein. Diese Ansicht wird, wie in dem Blockzitat eben gezeigt, von anderen Behörden geteilt, bis auf die Ebene des Gesetzgebers (Petitionsausschüsse). – Am Ende des oben genannten Verfahrens mußte ich mir indirekt – durch ein Schreiben des ARGE ans Sozialgericht – kackfrech erklären lassen, ich hätte ja nicht mal versucht, die Briefe abzugeben. Die unterschlagende Behörde geht also in der Abwertung noch einen Schritt weiter und erklärt den Absender zum Lügner (und mit Lügen kennen die sich ja gut aus.)

Das zweite ist klassisches Victim Blaming. Der Einreicher der unterschlagenen Papiere muß etwas tun, damit es nicht passiert – nicht etwa die Behörde. Meine Anwältin aus dem letzten Rechtsstreit wußte zu erzählen, daß sie selbst auf Einschreiben nicht mehr setzen kann, weil auch die gelegentlich verschwunden werden. Sie greift stattdessen auf die Amtszustellung zurück, wenn der Verdacht besteht, daß es sonst „nicht ankommt“. Das ist natürlich teurer und steht außerdem Leistungsberechtigten ohne anwaltliche Vertretung nicht offen. Brauchen wir jetzt alle eine anwaltliche Vertretung, damit wir Papiere einreichen können, ohne daß sie verschwunden werden? – Daran sieht man den Wahnwitz.

All das macht mich fassungslos. Noch nie dagegen habe ich die Forderung gelesen, die Ämter müßten dahingehend diszipliniert werden, daß eingereichte Unterlagen gefälligst in die Akten einzubringen sind.

Noch nie!

Gegenbeispiel: Ich habe ja in jüngeren Jahren beim Landesarbeitsgericht in Mannheim gearbeitet. Da kam es schonmal vor – so einmal im Jahr –, daß ein Rechtsanwalt sagte: Ich hab die Stellungnahme (oder whatever) in den Hausbriefkasten eingelegt, das muß bei der Akte sein, und der Richter stellt fest: Ups, da ist es aber nicht. Da wäre niemand auf die Idee gekommen, dem Menschen zu sagen: Ja, Pech, ist halt nicht angekommen, Frist versäumt!

Nein, stattdessen werden die Geschäftsstellen darüber informiert, daß ein Dokument gesucht wird und möglicherweise in die falsche Akte eingeheftet worden ist. Die geben es weiter an die Schreibstuben, und zumindest zu meiner Dienstzeit wurden alle solcherart vermißten Schriftstücke wieder aufgefunden, denn ja, sie waren allesamt jeweils in einer anderen Akte gelandet. Passiert.

Einmal verschwand eine ganze Akte auf dem Weg von einem Arbeitsgericht zum Landesarbeitsgericht auf dem Postweg. Da hieß es dann auch nicht (wie bei mir 2002): Tja, da können wir nix machen, dann müssen Sie halt das ganze Verfahren neu aufrollen. Nein, die Rechtsvertreter wurden ausgesucht höflich darum gebeten, ihre Handakten zur Verfügung zu stellen, um die Akte zu rekonstruieren.

Ein Gericht hat allerdings eine andere Position als ein Repressionsamt. Das Gericht hat nichts zu gewinnen, wenn ein Dokument verschwindet, ganz im Gegenteil. Das dürfte richtig Streß geben.

Aber doch nicht bei einem Repressionsamt! Das ist zum einen selbst Partei und hat zum anderen auch noch Vorteile davon, wenn Unterlagen einfach nicht da sind: Akten müssen nicht bearbeitet werden, Geld muß nicht ausgezahlt werden, Statistiken werden schöner.

Und da das auch niemand sanktioniert – wie gesagt, die Staatsanwaltschaft guckt lieber weg –, wird es halt gemacht. Daß man kein Gewissen haben darf, wenn man bei einem ARGE arbeitet, erwähnte ich ja schon.

Wie können diese systematischen Unterschlagungen mit der höchsten Dienstanweisung aller im öffentlichen Dienst beschäftigten Menschen kompatibel sein, die da lautet:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Nein, eigentlich stellt sich diese Frage gar nicht. Denn sie sind nicht kompatibel. Grundrechte gelten in einem ARGE nicht.

Aber: Sollte eine Behörde, die sich als gesamtes und systematisch bundesweit so offensichtlich nicht an die höchste Dienstanweisung halten will, nicht geschlossen werden müssen, bis dort personell aufgeräumt wurde?

Ja, eigentlich schon. Also, wenn wir einen Rechts- und Sozialstaat hätten. Haben wir halt nicht. Auch etwas, was mich so fassungslos macht.

Aber was weiß ich schon …


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