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Öffentlicher Dienst und IT

29. Oktober 2019 um 20:52 Uhr von Atari-Frosch

Ich hab jetzt länger nix von mir hören, also, ähm, lesen lassen, weil's mir echt nicht gut ging. Aber grad hab ich was gelesen, da muß ich doch mal ein bißchen was drüber loswerden. Und zwar schreibt der Tagesspiegel: Experten warnten schon 2017: IT-Katastrophe am Berliner Kammergericht kam mit Ansage. Aua. Aua. AUA! Auhauerha!

Also erstmal: Die Software war gnadenlos veraltet. Ich meine, Windows 95!? Echt jetzt?

Mir scheint es außerdem, daß es (was mich aus meiner eigenen Erfahrung im öffentlichen Dienst jetzt so gar nicht wundern würde) keinerlei Schulungen des Personals zum Thema Datenschutz gab. Bei einem Gericht müßte da eigentlich jede Person, vom Richter bis zur Tippse, immer auf dem aktuellen Stand sein. Auch was IT-Sicherheit angeht, von Paßwörtern bis zum Transport von Daten; gerade, wenn auch zu Hause gearbeitet wird.

Weiterhin hat man da offenbar auch noch nie was von VPN gehört. Warum müssen Richter (und ggf. auch Angestellte), die an ihrem heimischen PC Daten aus Gerichtsverfahren bearbeiten, diese auf einem – womöglich auch noch unverschlüsselten – Datenträger durch die Gegend transportieren, wenn das alles im Gericht verbleiben könnte, auch wenn die bearbeitende Person woanders sitzt?

Was ich noch aus eigener Erfahrung beitragen kann: Das Erlebnis (OK, war 1992/93, trotzdem), daß Ausschreibungen für Hard- und Software mit festen Leistungsdaten und Versionsnummern gemacht werden, die Entscheidung sich hinzieht, und dann ein Jahr später genau das bestellt wird, weil es ja genau so in der Ausschreibung stand, obwohl die Hardware schon vor Monaten bessere Nachfolger bekam und die Software natürlich auch schon wieder eine Major Versionsnummer weiter ist?

In diesem Fall war es sogar so, daß die bestellte Textverarbeitung, AmiPro für Windows, mittlerweile unsinnig geworden war, weil es AmiPro für OS/2 gab, und OS/2 war als Betriebssystem bestellt worden … natürlich in einer dann bereits ebenfalls veralteten Version. Die Hardware wiederum waren 486/25er oder sowas in der Richtung, während es zur Zeit der Auslieferung schon ein paar Monate lang 486/66 gab. Wo? Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Kammern Mannheim (in Stuttgart und den anderen „Filialen“ vermute ich dasselbe).

Ich vermute, daß der Lieferant das ganz toll fand, denn er konnte die veraltete Hardware und die nicht mehr so wirklich nachgefragten Lizenzen jetzt sehr günstig erstehen, während das Justizministerium brav die Preise bezahlte, die während der Ausschreibung für genau diese Produkte gegolten hatten. So wurde dann so nebenbei auch noch sinnlos Geld rausgeworfen.

Daß die Schulung für das AmiPro erst vier Monate nach der Aufstellung der PCs anfing, ist dann nochmal ein anderes Thema; mich würde interessieren, ob das heute noch genauso gehandhabt wird. Als die Schulung losging, hatte ich mich jedenfalls schon so gut selbst eingearbeitet, daß mir die Referentin nicht mehr allzu viel erzählen konnte, und ich war sogar weiter und hatte bereits Makros angelegt. Achja, und die PCs waren, obwohl das mit dazugehört hätte, noch drei Jahre später, als ich kündigte, immer noch nicht miteinander vernetzt …

Wenn im öffentlichen Dienst auch ansonsten weiterhin so gearbeitet wird, wie das damals üblich war, dann wird vermutlich alles, also auch Hard- und Software, genauso wie Möbel oder Schreibmaschinen, so lange benutzt, bis es buchstäblich auseinanderfällt. Und dann wird wieder (mehr oder weniger) neu angeschafft. Bis zum nächsten Auseinanderfallen.

IT-Sicherheit geht halt so'n bißchen anders.


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Ein Kommentar zu “Öffentlicher Dienst und IT”

  1. Daniel Rehbein quakte:

    Zu diesem Thema habe ich neulich einen interessanten Erfahrungsbericht bei Golem gelesen:

    https://www.golem.de/news/arbeit-im-amt-wichtig-ist-ein-talent-zum-zeittotschlagen-1910-143768.html

    Ich frage mich allerdings, ob man das Behördenwesen wirklich auf Dauer besser lösen könnte.

    Eine Verwaltung soll ja nicht willkürlich arbeiten, sondern sie braucht klar definierte und nachvollziehbare Arbeitsabläufe. Jede Änderung dieser Prozesse unterliegt den Regeln des demokratischen Prozesses der jeweiligen Gebietskörperschaft, sofern nicht die Verwaltung ihrerseits Regeln dafür hat, wie sie ihre Arbeitsabläufe an neue Rahmenbedingungen anpasst.

    Es kann sich ja nicht einfach jemand, der sich mit IT auskennt, zum Diktator aufschwingen, und neue Arbeitsabläufe diktieren. Statt dessen muß auf Ebene der jeweiligen Gebietskörperschaft (also in der Kommune, im Bundesland, auf Bundesebene oder im Rahmen der betreffenden übernationalen Organisation, um deren Behörden es gerade geht) der notwendige demokratische Prozess angestoßen werden. Im Rahmen dieses demokratischen Prozesses dürfen natürlich auch Menschen in IT-Angelegenheiten mitentscheiden, die von IT keine Ahnung haben.

    Hinzu kommt, daß ein von genau definierten Zuständigkeiten und Arbeitsabläufen geprägter Arbeitsplatz ausgerechnet solche Menschen anzieht, die nicht gerne Eigeninitiative zeigen, sondern lieber Dienst nach Vorschrift machen und damit auf ihre Pensionierung warten.

    Diese verfahrenen Situationen ändern kann eigentlich nur der mündige Wähler, aber in Wirklichkeit auch der nicht, den in den Parteiprogrammen wird selten auf derartige IT-Einzelheiten eingegangen, daß man danach seine Wahlentscheidung ausrichten könnte.


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