E-Mail an den Bundespräsidenten: IPReG nicht unterschreiben!
2. Juli 2020 um 22:33 Uhr von Atari-Frosch
Ich habe soeben eine E-Mail an den Bundespräsidenten abgeschickt (Kontaktdaten). Grund ist die Verabschiedung des seit Monaten diskutierten IPReG, entgegen aller Proteste durch Betroffene, entgegen verfassungsgemäßer Rechte, entgegen der UN-Behindertenrechts-Konvention.
Und ich bitte Euch, das ebenfalls zu tun, möglichst in eigenen Worten, aber Ihr dürft auch gern meine Version kopieren. Wer es mehr mit akustischer Sprache hat: Ruft bitte an, laßt die Telefone und Ohren im Bundespräsidialamt glühen! Das IPReG darf keine Gültigkeit erlangen.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
der Bundestag hat heute das sogenannte IPReG – das Intensivpflege- und Rehabilitierungsstärkungsgesetz verabschiedet. Ich bitte Sie darum, dieses Gesetz nicht zu unterschreiben.
Trotz berechtigter Proteste auch von Betroffenen vor dem Bundestag, zuletzt heute (2. Juli), trotz über 210.000 Unterschriften zur einer Petition bei Change.org[1] – die sowohl der Bundesgesundheitsminister als auch die Abgeordneten der „Großen Koalition“ ignorierten –, wurde hiermit ein Gesetz verabschiedet, das den einzelnen Menschen zum Kostenfaktor reduziert und ihm die Freiheit nimmt, seinen Wohn- und Aufenthaltsort selbst zu wählen für den Fall, daß er beatmet werden muß.
Dieses Gesetz würde weiteren gleichartigen Gesetzen Tür und Tor öffnen. Welche Patientengruppe ist als nächstes dran, weggesperrt zu werden und das eigene Leben nicht mehr kontrollieren zu dürfen, weil das als „zu teuer“ angesehen wird?
Über den Alltag in einem Pflegeheim gibt es eine Dokumentation mit dem Ihnen sicher bekannten Aktivisten Raúl Krauthausen vom Oktober 2016. [3]
Würden Sie so leben wollen? Würden Sie es irgend einer Person aus Ihrer Familie, aus Ihrem Freundeskreis, aus Ihrem Umfeld zumuten wollen, so zu leben?
Die Ressourcen in Pflegeheimen reichen ja schon jetzt hinten und vorne nicht. Wo sollen die Pflegeplätze sein, wo das Pflegepersonal? So besteht die Gefahr, daß beatmete Menschen in Lebensgefahr gebracht werden, wenn sie aufgrund des bekannten Personalmangels nicht rechtzeitig versorgt werden können. Das ist Mord durch die Hintertür!
Und warum? Um die Ergänzung zur Petition[2] zu zitieren: „Weil es Kriminelle gibt, die Abrechnungsbetrug machen? Deswegen Strafmaßnahmen für die Opfer dieses Betruges und nicht für die Täter? Wird mir dann demnächst der Führerschein weggenommen wenn VW wieder betrügt und ich einen Golf fahre?“
Die in letzter Minute von der Koalition eingebrachten Änderungsanträge stellen zwar Verbesserungen dar. Jedoch hat sich der Gesetzgeber dagegen entschieden, den Betroffenen mit klaren Formulierungen Rechtssicherheit zu garantieren. „Berechtigte Wünsche“ sind eine juristisch schwammige Formulierung:
„Berechtigt sind die vom Leistungsberechtigten geäußerten Wünsche dann, wenn ihnen keine Rechtsvorschrift entgegensteht … Inwieweit sich Wünsche des Berechtigten innerhalb des geltenden gesetzlichen Leistungsrechts bewegen, ist i. d. R. auch unter Berücksichtigung … des Wirtschaftlichkeitsgebots zu beurteilen.“ (zit. nach [2])
Also: Ist die Krankenkasse der Ansicht, die Grundrechte einer beatmeten Person seien zu teuer, dann: Weg mit den Grundrechten und ab ins Heim. Und daß Krankenkassen grundsätzlich nach Kosten entscheiden, ist nun auch nichts Neues:
„#Notarzteinsatz im Büro einer Krankenkasse.
I:"Wo sind sie versichert?"
(Lacht): "Wir sind natürlich alle hier versichert."
An der Wand ein Schild: "Zielgröße für Erfolg ist eine abgelehnte Leistung oder Kürzung."
I: "Gilt das auch für Sie?"
Betretenes Stammeln, rotes Gesicht..“
-- Tweet von @Dr_Emergency vom 24.01.2020 [4]Ergänzend lohnt sich eine Suche bei Twitter mit den Stichworten „Krankenkasse abgelehnt“ oder „Krankenkasse Ablehnung“.
Solange diese Praxis nicht geändert ist, kann man von Krankenkassen offenbar nicht erwarten, daß sie sich irgendwie für Menschen interessieren. Beatmete Menschen müssen somit also ab ihrem 18. Geburtstag ständig damit rechnen, aus ihrer Wohnung, aus ihrer Familie herausgerissen und in ein Pflegeheim gezwungen zu werden. Weil sie das Gesetz zu einem Kostenfaktor macht. Ein Kostenfaktor, der keine Grundrechte mehr hat.
Daß dieses Gesetz außerdem gegen die UN-Behindertenrechts-Konvention (UNBRK) verstößt, muß eigentlich gar nicht mehr erwähnt werden. Es ist ein massiver Rückschritt im Kampf um Behindertenrechte.
Bitte unterschreiben Sie dieses Gesetz daher nicht, verhelfen Sie ihm nicht zur Gültigkeit! Grund- und Menschenrechte dürfen nicht dem Geld geopfert werden.
Verlinkte Quellen:
[3] https://raul.de/leben-mit-behinderung/das-heimexperiment-fuenf-tage-lebenslaenglich/
[4] https://twitter.com/Dr_Emergencydoc/status/1220626792752590849
Mit freundlichen Grüßen