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Vom Zeugen zum Beschuldigten

13. Juli 2020 um 15:14 Uhr von Atari-Frosch

Heute mittag öffnete ich die Briefe von kurz vorm Wochenende – weil ich vor einem Wochenende keine Briefe aufmache; man will sich ja nicht das Wochenende versauen. Einer der Briefe kam von der Staatsanwaltschaft Kleve. Und darin stand, daß ein Ermittlungsverfahren gegen mich wegen „Betrug als Mitglied einer Bande u.a.“ gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt worden war. Äh, wie bitte?

Zunächst glaubte ich an eine Verwechslung. Aber dann dämmerte es mir: Moment mal, Kleve? Da war doch was gewesen. In Kleve war ich im Januar 2018 als Zeuge vor Gericht zu einem größeren Strafverfahren geladen, allerdings nicht gegen mich, sondern gegen eine Schlüsseldienst-Firma, für die ich 2013 einige Monate lang auf Minijob-Basis gearbeitet hatte. Der Betreiber der Firma hatte mir nicht von Anfang an gesagt, was er vorhatte, sondern immer herumlarviert, und war auf Nachfragen ausgewichen. Als mir klar wurde, wofür er mich einspannen wollte, kündigte ich. Und nun auf einmal erfuhr ich, daß ich unter den Beschuldigten geführt wurde, wegen bandenmäßigen Betrugs.

Im August 2016 hatte ich zufällig über den Polizeiticker erfahren, daß umfangreich gegen einen betrügerischen Schlüsseldienst im Kreis Kleve ermittelt wurde. Aufgrund der in der Pressemeldung genannten Details wurde mir schnell klar, daß es sich um diese Firma handeln müßte, für die ich 2013 gearbeitet hatte. Ich kontaktierte die angegebene Telefonnummer, mußte mich dann noch durchfragen, weil die Nummer falsch war, und teilte dann mit, daß ich möglicherweise etwas beitragen könnte, weil ich dort gearbeitet hatte und mir damals schon Dinge seltsam vorgekommen waren.

Der Firmeninhaber, selbst offenbar ohne jegliche Ahnung über das Internet™, hatte nämlich von mir erwartet, daß ich mit einer Website oder mit ganz vielen Websites den Eindruck erwecken solle, daß seine Firma quasi überall, in jedem Ort, verfügbar sei, und diese Site(s) sollte ich dann „in Google“ ganz nach oben pushen. Ich fragte mehrfach nach, ob das denn tatsächlich der Fall sei; die Frage hat er mir erst gar nicht beantwortet, und später dann mit „natürlich nicht“. So sollte bei potentiellen Kunden der Eindruck erweckt werden, der beworbene Schlüsseldienst könne im Notfall ganz schnell da sein, während es tatsächlich sein konnte, daß er erstmal eine Stunde oder noch länger Anfahrt hat – und die dann natürlich auch berechnet. An diesem Punkt habe ich dann gekündigt, denn für mich ist das Betrug. Anzeige erstattet hatte ich nicht; ich hatte damals genug mit dem ARGE und mir selbst zu tun, und es fehlte mir an konkreten Beweismitteln, und am Ende wäre es Aussage gegen Aussage gewesen und „im Zweifel für den Angeklagten“.

Keine zwei Wochen nach meinem Anruf aufgrund der Pressemitteilung hatte ich einen Zeugenvernehmungstermin (!) bei der Staatsanwaltschaft in Düsseldorf. Der verlief meiner Erinnerung nach ziemlich chaotisch, vor drei Beamtinnen und Beamten, die Fragen kamen zusammenhanglos und quer durch den Garten, und ich bemühte mich, den IT-mäßig völlig unbeleckten Ermittlern zu erklären, was ich dort gemacht hatte und was der Firmeninhaber weiterhin von mir erwartet hatte. Danach hörte ich davon erst einmal nichts mehr.

Ich weiß nicht mehr genau, wann dann die Vorladung zur gerichtlichen Zeugenvernehmung (!) vor dem Landgericht in Kleve kam, der Termin war jedenfalls am 23.01.2018 gewesen. Vor Gericht erklärte ich nochmals, was von mir erwartet wurde. Die Anwältin des angeklagten Firmeninhabers versuchte noch, mir unterzuschieben, ich hätte ihn vielleicht falsch verstanden bzw. er hätte sich mangels Internet-Kenntnissen vielleicht mißverständlich ausgedrückt. Nein, da war für mich nichts falsch zu verstehen: Aus meiner Sicht wußte er genau, was er da vorhatte.

Nach diesem Gerichtstermin hörte ich wiederum erst einmal nichts mehr von der Sache. Und nun hatte ich diesen Brief im Briefkasten, der nahelegt, daß ich als Beschuldigter geführt wurde und nicht als Zeuge.

Das ist ein wesentlicher Unterschied: Als Zeuge muß man bei der Staatsanwaltschaft und vor Gericht grundsätzlich aussagen. Als Beschuldigter jedoch hätte ich schweigen können, und ich hätte mir mit Sicherheit anwaltlichen Rat eingeholt. Aus einem Zeugen, der aussagen muß, klammheimlich einen Beschuldigten zu machen, der nicht aussagen müßte, ist daher ein ziemlich unfairer Vorgang – um das mal nett auszudrücken. Erst recht, wenn man bedenkt, daß ich aus freien Stücken ins Verfahren gegangen bin und das gar nicht hätte tun müssen.

Also rief ich heute bei der Staatsanwaltschaft Kleve an, um die Sache aufzuklären. Der zuständige Staatsanwalt wirkte etwas durcheinander, nachdem ich erklärt hatte, daß ich mich aus freien Stücken als Zeuge gemeldet hatte, als ich von dem Verfahren erfuhr, und daß ich immer nur als Zeuge bezeichnet worden war. Er stellte fest, daß ich in der Akte tatsächlich in der Liste der Beschuldigten geführt wurde. Und über das Protokoll der Zeugenvernehmung bei der Staatsanwaltschaft in Düsseldorf habe jemand „Beschuldigtenvernehmung“ geschrieben, er wisse aber nicht, wer das war. Außerdem sei ich im Rahmen meiner dortigen Tätigkeit nicht nur als Webmaster, sondern auch als Call-Center-Mitarbeiter geführt worden – was ich nie war. Der Firmeninhaber hatte tatsächlich auch ein Call-Center betrieben, mit dem ich aber nie zu tun gehabt hatte.

Für mich sieht das so aus, daß ich spätestens nach meiner ersten Zeugenvernehmung in Düsseldorf im August 2016 als Beschuldigter geführt wurde, und zwar allein aufgrund der Tatsache, daß ich für den Hauptbeschuldigten gearbeitet hatte. Trotzdem erfolgte die Ladung vor Gericht als Zeuge. Da kann mir niemand sagen, daß das sauber gelaufen ist.

Schließlich meinte der Staatsanwalt, das sei ja jetzt eingestellt, und das würde auch nirgendwo später wieder auftauchen, daß es dieses Ermittlungsverfahren je gegeben hatte. Ich müsse mir da also keine Gedanken machen. Außerdem hätte ich mit meinen Aussagen durchaus einen hilfreichen Beitrag geleistet. Ja danke auch.

§ 153 Abs. 1 StPO lautet folgendermaßen:

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

„… wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre“ – das heißt doch, es wird mir grundsätzlich eine (geringe) Mitschuld an dem bandenmäßigen Betrug angelastet, oder wie darf ich das verstehen? Zumal das Einstellungs-Schreiben so endet:

Maßgeblich für die Einstellung war, dass Sie sachdienliche Angaben gemacht und so zur Aufklärung beigetragen haben. Im Wiederholungsfall können Sie nicht mit einer erneuten Einstellung rechnen.

Für mich bleiben Fragen offen.

Was für mich aber keine Frage ist: Sollte ich noch einmal zufällig von einem Ermittlungsverfahren erfahren, zu dessen Aufklärung ich beitragen könnte, werde ich mich sicher nicht als Zeuge melden. Weiß der Geier, welche Straftaten man mir beim nächsten Mal unterschieben will. Auf solche für mich nicht sehr rechtsstaatliche Spielchen lege ich echt keinen Wert.

[Update 2021-02-01 13:30] Heute habe ich erfahren, daß der Prozeß erst kürzlich beendet worden und daß sogar der Bundesgerichtshof involviert war: Abzocke durch Schlüsselnotdienste: Ende eines strafbaren Geschäftsmodells? schreibt Mimikama.

Das Urteil geht auf einen Rechtsstreit in Kleve zurück. Dort fand in den letzten Jahren ein Prozess gegen die Betreiber eines Schlüsselnotdienst-Netzwerks statt, der Mitte Januar zu einer Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, Steuerhinterziehung und Wuchers führte.

[/Update]


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5 Kommentare zu “Vom Zeugen zum Beschuldigten”

  1. PP quakte:

    Krasse Sache. Ich glaube ich hab mal was im lawblog (kennst du ja vielleicht) dazu gelesen. Also das man als’Zeuge‘ gehört….ähm besser gesagt verhört wird (weil eben Auskunftspflicht besteht), sich der Status später aber plötzlich irgendwie in ‚Beschuldigte/r‘ wandelt.
    Ja da überlegt man sich zweimal ob man da nochmal was sagen will.


  2. Eli quakte:

    Oh Gott, im ersten Moment hast du wahrscheinlich fast nen Herzanfall bekommen. Wäre zumindest mir so gegangen.

    Ist aber schon krass. Da wolltest du was Gutes tun und wurdest am Ende sogar noch (fast) dafür bestraft.


  3. Atari-Frosch quakte:

    @Eli: Naja, Herzinfarkt nicht gerade, ich war erstmal nur verunsichert und dachte, da seien vielleicht die Namen zweier Leute verwechselt worden. Mein Name ist ja nun nicht so selten. Ich war eher sauer, weil mir dieser Status-Wechsel nicht mitgeteilt wurde.


  4. Atari-Frosch quakte:

    @PP: Klar kenne ich das Lawblog. 🙂 Und ja, zumindest aus eigenem Antrieb werde ich mich wohl nicht mehr als Zeuge melden, wenn man so schnell zum Beschuldigten wird.


  5. Katrina Reichert quakte:

    Und wieder einmal sehe ich mich darin bestätigt, mit amtlichen Stellen nur exakt so weit zu kooperieren, wie ich unbedingt muss und kein Iota mehr; es rächt sich.
    Als Angehörige mehrerer staatlich diskriminierter Minderheiten traue ich dem Staatsapparat ohnehin nicht weiter als ich ihn werfen kann und meine Bizepse sind echt nicht in Hochform…


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