Zum Thema Drachenlord und Mobbing
28. Oktober 2021 um 15:58 Uhr von Atari-Frosch
Diese Kolumne von Sascha Lobo über den #Drachenlord – Ein jahrelanges Martyrium in Deutschland – und niemand hält es auf haut bei mir grade heftig rein. Der Text erinnert mich übermäßig an meine Schulzeit. Ich war anders, ich war „falsch“, also immer feste druff, ne?
Nein, ich wurde nicht zu Hause belagert (was aber auch damit zu tun gehabt haben dürfte, daß ich ja noch bei meinen Eltern lebte). Aber ich wurde zum Amüsement der Mobber provoziert, bis ich mich – vergeblich – wehrte. Und wer war schuld? Na, ich natürlich. „Du mußt doch irgendwas gemacht haben, daß die so mit Dir umgehen!?“ habe ich oft gehört. Diese Aussage hatte sich lange bei mir festgesetzt. Wenn mir jemand Unrecht angetan hat, muß ich ja irgendwie schuld gewesen sein, ne? So züchtet man Depressionen.
Da war die Szene auf dem Schulhof, noch während der Grundschule. Sie standen in großem Kreis um mich herum, um mich zu beleidigen und mit Ästen und Steinen zu bewerfen. Ich schrie. Die Lehrerin kam auf mich zu, nahm meine Hand und – schlug schimpfend drauf. Ich hätte nicht so rumzuschreien, es sei doch überhaupt nichts los. Die anderen lernten: Oh, die darf man unbehelligt beschimpfen und mit Zeug bewerfen, und sie wird noch von der Lehrerin gehauen. Toll! Machen wir also weiter, scheint ja richtig zu sein, die hat's doch verdient!
In der Grundschule konnte man sich für die Pause günstig Milch/Kakao und ein einfaches Brötchen kaufen. Das war quasi eine Art Abo, man mußte, ich meine, immer für eine Woche im Voraus bestellen und bezahlen. Und es war immer mein Kakao, der „verschwand“, nie der Kakao von jemand anderem. Bis ich Milch bestellte statt Kakao. Die mochten sie offenbar nicht.
Und die Strafen dafür, daß regelmäßig meine Schreib-Utensilien gestohlen wurden, bekam ich natürlich auch. Meine Füller verschwanden teils mehrfach pro Schuljahr (ein guter Füller kostete damals knapp 13 DM, das war viel Geld). Als ich einen Mitschüler dabei erwischte, wie er in der Pause im Klassenzimmer meinen Füller mit geöffneter Kappe mit voller Wucht auf den Tisch schlug und die Feder dann um 90 ° abstand, wurde – ich bestraft. Von meinen Eltern. Ich mußte die neue Feder von meinem Taschengeld bezahlen. Der Mitschüler stritt es ab, es stand Aussage gegen Aussage, also war er es „natürlich“ nicht gewesen. Ja, Roman, ich weiß das tatsächlich noch, also guck nicht so.
Reißnägel oder Wasser auf dem Stuhl waren keine Seltenheit, und wenn ich erschrocken und/oder vor Schmerz aufsprang, weil ich den Stuhl mal wieder nicht routinemäßig überprüft hatte vorm Hinsetzen, sollte ich doch bitte nicht so'n Theater veranstalten, ne.
Ich sollte mich wehren, hieß es eine Zeitlang, aber schreien und schlagen beeindruckte sie ja nicht, im Gegenteil. Als ich dann eines Tages – bereits in der Realschule – mein Taschenmesser (Klingenlänge ca. 5 cm) auspackte, waren alle empört. Keine Sorge, es ist nichts passiert. Also, den anderen.
Auf dem Heimweg ging ich meistens einen Umweg, obwohl ich immer wieder dafür angeranzt wurde, weil das halt nicht der direkte Weg war und deshalb die Unfallversicherung im Fall eines Unfalls nicht greifen würde. Mir war das herzlich egal. Ich wollte nur einfach nicht auch noch auf dem Heimweg regelmäßig beschimpft und vereinzelt verprügelt werden.
In der späteren Realschul-Zeit gab es mal eine Phase, da fanden es die Jungen der Klasse „lustig“, sich gegenseitig auf mich drauf zu schubsen, damit ich die Balance verlor und „optimalerweise“ stürzte. Ich konnte nie gut fallen bzw. einen Sturz nie gut abfangen, und kann es bis heute nicht. Eines Tages fiel ich so ungünstig, daß ich mit dem Kopf an einen Heizkörper knallte. Gab 'ne riesige Beule. Der Rektor wurde geholt, ich durfte vorzeitig heimgehen. Das Schubs-Spiel hörte auf. Gab ja noch genug andere Methoden. Von weiteren Konsequenzen für die Schubser habe ich nie was mitbekommen.
"Wenn er brüllt, war das meine Belustigung"
lautet eine der Zwischenüberschriften im Bericht von Lars Wienand über den „Drachenlord“-Prozeß.
Wie verdammt gut ich das kenne. Sie fanden es lustig, wenn ich schrie. Sie fanden es lustig, wenn ich versuchte, mich zu wehren, obwohl ich körperlich unterlegen war. Sie fanden es lustig, mich zu bestehlen. Sie fanden es lustig, den Lehrenden gegenüber Falschbehauptungen über mich aufzustellen. Sie fanden es lustig, sich Beleidigungen für mich auszudenken. So lustig, hahaha.
Er selbst wolle niemanden stören, wenn er ab und an an Winklers Haus vorbeikomme, erzählt er auf dem Gang vor dem Gerichtssaal. "Ich gehe hin, stehe auf öffentlicher Straße, rede nicht, und wenn er rauskommt und brüllt mich an, dann war es für mich halt meine Belustigung des Tages".
Natürlich wird man nach solchen Erfahrungen zumindest nervös, wenn sich Mobber oder potentielle Mobber einfach so in der Nähe herumtreiben und „nix tun“. Wurde ich auch.
Aber wenn's doch sooo lustig ist! Hahaha! 😡
Und alle Lehrer haben weggesehen, keiner hat Fragen gestellt.
Auch nicht, warum ich in der Realschule in der Pause im 4. Stock immer am Geländer stand und runtergestarrt habe. Ich hätte das Geländer bei aller Unsportlichkeit leicht überwinden können. Und ich habe oft dran gedacht.
… schrieb ich bereits vor vielen Jahren in Mobbing in der Schule. Es war meine erste ernsthafte Depression gewesen. Ich war etwa 13, als sie anfing.
Dem „Drachenlord“ (Rainer Winkler) ist offenbar im Prinzip dasselbe passiert, nur in einer anderen Größenordnung, und die Weggucker waren bzw. sind Polizei und Gericht. Zehn Jahre lang. Meine Schulzeit hat mir schon gereicht. Was dort passiert ist und geduldet wurde, ist unvorstellbar, und doch weiß ich glaub ich ziemlich genau, wie sich der Mensch fühlen muß.
Und ja, es ist mir scheißegal, was er selbst getan haben mag. Wie „unintelligent“ er sein mag. Wie ungeschickt er sich angeblich verhalten haben mag – weil es vor einem solchen Mob kein „geschicktes“ Verhalten gibt. Niemand hat so eine Hetzjagd verdient, aus keinem Grund, durch niemanden.
Was ich hier auch ausdrücken will: Das Mobbing und die Motive sind keine Folge der Digitalisierung, wie ich in manchen Tweets gelesen habe. Das gab es alles schon viel früher, sowohl das Mobbing als auch das ignorante und abwertende Verhalten derer in genügend autoritärer Position, die es hätten stoppen können: Verurteilung des Opfers und die Tatsache, daß den Mobbern einfach mal gar nichts passiert.
Nehmt Mobbing-Opfer endlich ernst, verdammt. Das ist kein Spiel.
30. Oktober 2021 at 19:52
Beim Drachenlord geht’s halt um dessen Selbstjustiz. Und dafür gibt’s halt keine Rechtfertigung.
Und wenn man sowas in der Art macht wenn man eh schon auf Bewährung draußen ist, dann kommt man halt in den Knast.
30. Oktober 2021 at 20:35
Oh, klar. Jemand wird provoziert, bis er sich nicht mehr anders zu helfen weiß und zuschlägt. Die Aktion war geplant und sie hatten extra ’ne Kamera dabei? Ja egal, er muß irgendwie schuldig sein. Also ab ins Gefängnis, hätte sich halt nicht provozieren lassen sollen, ne.
Samma, merkst Du noch was?
Hätte ich damals mit dem Taschenmesser jemanden verletzt, wäre ich natürlich auch der böse Part gewesen. Hätte mich halt nicht so ärgern lassen sollen, ne. (Genau den Spruch hab ich so oft gehört: „Laß Dich halt nicht ärgern.“ Vor dem „Wehr Dich doch“.)
Nein, so einfach ist das nicht.
31. Oktober 2021 at 7:07
Wie gesagt: er wurde halt nicht tätlich angegriffen, also hat er auch nicht das Recht sich so zu wehren.
Und wenns wirklich wie besagt sogar gefährliche Körperverletzung war geht er zu weit. Und wenn er dann noch Bewährung hat, dann geht das so mit dem Urteil schon in Ordnung. Da hätte er halt andere Wege suchen sollen, sich zu wehren. Selbstjustiz geht halt gar nicht.
6. November 2021 at 9:29
Hier, dazu was sehr interessantes: https://www.youtube.com/watch?v=4EFla8MBRmU