Know Your Enemy
11. November 2021 um 19:35 Uhr von Atari-Frosch
Seit einem Jahr habe ich diese Probleme nun, die so aussehen wie die Symptome einer Depression. Phasenweise keine Konzentration, dauermüde, niedergeschlagen, lustlos, antriebslos. Und so ein Herr Arzt, der mich im September „begutachten“ wollte, meinte auch, es müsse eine Depression sein.
Nein. Einfach nein.
Denn es ist keine Krankheit, die mir erzählt, ich sei wertlos.
Es ist keine Krankheit, die mir erzählt, ich sei nur ein Kostenfaktor.
Es ist keine Krankheit, die mich glauben lassen will, ich solle am besten gar nicht mehr existieren.
Es ist auch keine Krankheit, die mich dauerhaft zwangsverarmt.
Es war auch keine Krankheit, die mehrfach versucht hat, mich in die Obdachlosigkeit zu drücken.
Es war auch keine Krankheit, die mich zu Straftaten erpressen wollte.
Es war auch keine Krankheit, die mich zwangsverrenten wollte.
Es war auch keine Krankheit, die mich mehrfach monatelang aus schierer Faulheit völlig ohne Geld hängen ließ.
Es ist übrigens auch keine Krankheit, die mich radikalisiert hat.
Es war und ist diese autoritär-kapitalistische bis wirtschaftsfaschistische, privilegierte Mehrheitsgesellschaft, die mir all das erzählt und antut, und das seit über zwanzig Jahren, und deren Legislative und Exekutive teils mit Hilfe der Gerichte und unter ignorantem Wegschauen der Staatsanwaltschaften dafür sorgt, daß es für mich und Millionen andere Menschen in diesem Land so bleibt.
Es ist diese Gesellschaft, der die Menschenrechte derer, die dem kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht genügen, völlig egal sind. Die die Menschen einteilt in nützliches Verbrauchsmaterial und nutzlose Kostenfaktoren, wobei letztere gefälligst aufhören sollen, zu existieren, und die erst recht nichts fordern sollen.
Es ist diese Gesellschaft, für die die UN-BRK einfach mal so gar nicht existiert und die von uns Behindis verlangt, wir sollten uns doch bitte zurückhalten mit den Forderungen nach Inklusion und Gleichberechtigung, weil das ja alles so teuer und unpraktisch sei. Wir sollten doch froh sein, daß es die „Werkstätten“ gäbe und die Kümmerknäste, in die sie uns wegsperren, damit wir dem fleißigen Verbrauchsmaterial nicht im Weg sind.
Es ist diese Gesellschaft, die von uns Behindis verlangt, alle Einschränkungen mit Gutachten und Diagnosen zu beweisen, und das alle Jahre wieder, weil man ja sonst ein bißchen zu viel Hilfe bekommen könnte, das geht ja nicht, wegen Geld und so, ne. Denn Geld geht vor Menschen, erst recht vor die „Wünsche“ von Behindis, in die unsere Bedürfnisse einfach mal umgedeutet werden. Die nicht wahrhaben will, daß sie selbst nur einen Unfall, eine Gewalttat, eine Krankheit weit von einer Behinderung entfernt sein können.
Es ist diese Gesellschaft, die LGBTIQA+ Menschen wie mich nicht uns selbst sein läßt, sondern übergriffig bestimmen will, in welche Schubladen wir zu passen haben. Die uns abverlangt, unser So-Sein vor Gatekeepern zu beweisen.
Ja, die Symptome sind die einer Depression. Aber ich kenne meinen Feind. Und der ist keine Krankheit.
12. November 2021 at 17:17
Vielen Dank dafür das Du das Offensichtliche hier so deutlich aussprichst, habe ich so noch nie gelesen, was ein absolutes Unding ist!
Liebe Grüße und noch einen schönen Tag!
12. November 2021 at 18:51
Ich denke es ist ein Fehler, sowas _nur_ an äußeren Umständen festzumachen.
Ich denke es ist hauptsächlich: bad luck, bad genes.
Und die äußeren Umstände setzen sicher schon viel früher als bei deiner H4-Phase an.
Ich bin schizotyp (Schizophrenie „light“) und bei mir sind es hauptsächlich die Gene weil ich halt eine psychotische Mutter habe.
16. November 2021 at 14:16
Hallo Frosch,
ich lese deine Blog jetzt schon recht lange über den Planet vom Debianforum, und muss sagen er ist echt etwas besonderes, in positivem Sinn.
Ich wünsche Dir weiterhin viel Kraft. Pass aber auf, das Du nicht in Kämpfe mit Windmühlen untergehst. Auch wenn ich Dir absolut zustimmen, was die Ursachen angeht, mögen manche Tipps gegen „Depression“ trotzdem hilfreich sein. Den Feind zu kennen, ist wichtig, und sei es nur fürs eigene Selbstwertgefühl und um die Situation richtig einzuschätzen.
Aber um aus dem schwarzen Loch wieder rauszukommen, hilft es nur begrenzt, da Du ja das System um dich herum nicht einfach verschwinden lassen kannst. Da kann die Psycho Trickkiste gegen Depressionen schon helfen (Sonne, Bewegung, positive Erlebnisse usw.). Nur zieh Dir nie den Schuh an, es sein Deine Schuld oder läge an Dir.
21. Dezember 2021 at 2:00
Die meisten Menschen haben eben vergessen, dass sie nur im Angesicht des eigenen Todes lebendig sind.
Das ist gewissermaßen ein Paradoxon: Nur auf der dünnen Schneide zwischen Leben und Tod entspringt die Lebendigkeit, das Glücksgefühl, Kraft, Mut, Stärke usw.
Alle Extremsportarten haben das zum Ziel. Alle Meditationssysteme haben das zum Ziel (Ausschaltung des Ichs), Kriegernaturen fühlen diese eigene Lebendigkeit nur im Kampf auf Leben und Tod. Es geht immer und ausschließlich um die zeitweise Abwesenheit von Engrammen im Gehirn, was als Segen oder innere Freiheit empfunden wird.
Leider können die wenigsten Menschen diesen wohltuenden Zustand in einen Dauerzustand verwandeln. Zu schnell übernehmen wieder alte Engramme (so in Verhaltensmustern zu sehen) wieder die Oberhand. So wie von Geburt an dickliche Kinder es in den seltensten Fällen schaffen auf Dauer hager zu werden. Meistens gehen sie von einer Diät in die nächste und es geht auf und ab, ein Leben lang (siehe z.B. Sophia Thiel). Der Grund liegt darin begründet, dass sie ihre eigenen tiefergehenden Verhaltensmuster nicht erkennen können. Sie haben den Balken im eigenen Auge, den blinden Fleck, die gefärbte Brille. Damit ist es unmöglich einen wertfreien Blick auf sich selbst zu werfen. Dieses Spiel geschieht dann so lange, bis die Menschen sich selbst klar sehen, und die entsprechenden Engramme bewusst auslöschen. Das ist das ganze Geheimnis dahinter.
Und danach ist dein Leben ein anderes als vorher, grundlegend anders.