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Goodbye, Twitter

16. Dezember 2022 um 12:56 Uhr von Atari-Frosch

Gestern vor 14 Jahren schrieb ich meinen ersten Tweet auf Twitter:

@Atari-Frosch @AlexSchestag danke 🙂

8:14 PM Dec 15th, 2008 from web in reply to AlexSchestag

Und ich habe vieles mitgemacht: Umstellungen im Layout, die immer wieder gewöhnungsbedürftig waren. Die immer fetter werdende Weboberfläche. Smartphone-Apps von Drittanbietern, die immer wieder blockiert wurden, weil Twitter es doch ganz gerne gehabt hätte, wenn man ihre eigene nutzt, die einen mit Werbung („sponsored tweets“) vollballert – welche die Drittanbieter-Apps einfach rausfiltern. Dann die recht erholsame Umstellung auf Tweetdeck (Web). Damit und in Kombination mit dem AdBlocker uBlock Origin wurde Twitter dann endlich weitestgehend werbefrei benutzbar.

Bis Elon Musk kam und Twitter kaufte. Und was er aus der Plattform macht und noch machen will, mache ich nicht mehr mit.

Heute lese ich – weitestgehend bereits auf Mastodon –, daß Elon Musk einige kritische Journalisten hat sperren lassen. Dafür wurde Donald Trumps Account wieder freigeschaltet. Links zu einigen Fediverse-Instanzen werden als schädlich markiert, der Account @joinmastodon wurde komplett gelöscht. Musk faselt was von Meinungsfreiheit, meint aber nur seine eigene und die Meinung derer, die ihm die Schuhe ablecken würden, wenn sie könnten.

Ich muß zugeben, daß ich nicht mal alles verfolgen konnte, was Musk so in letzter Zeit abgelassen und angerichtet hat. Aber daß er Donald Trump unterstützt, konnte mir nun wirklich nicht entgehen, genausowenig, daß er ein Rassist ist. Und daß er Angestellte reihenweise gefeuert hat und ihm das Arbeitsrecht sowohl in den USA als auch in Europa dabei völlig egal ist. Was mir auch nicht entgehen konnte, ist sein Trans-Haß. Seine eigene trans Tochter hatte sich im Juni von ihm losgesagt.

Irgendwie paßt das alles. Rassist, Rechter, Trump-Anhänger, Transfeind und die Sache mit der Meinungsfreiheit, die nur die eigene meint.

Zu mir paßt das allerdings nicht.

Und dann war da auch noch die Sache mit den „blauen Haken“. Twitter hat vor der Übernahme bestimmte Menschen verifiziert, die darum gebeten und die Bedingungen erfüllt hatten. Ziel war gewesen, Fake-Accounts erkennen zu können, weil die Originale halt den blauen Haken haben. Twitter garantierte quasi dafür, daß diese Accounts tatsächlich den Personen oder Organisationen gehören, die sie behaupten zu repräsentieren. Elon Musk verlangt dafür jetzt monatlich Geld – und es scheint, daß es genügt, das verlangte Geld zu bezahlen, ohne eine glaubwürdige Authentifizierung abzuliefern, um den blauen Haken zu erhalten. Das ist quasi eine Einladung dazu, prominente Menschen und ungeliebte Organisationen zu faken.

Twitter war bis auf vielleicht in den Anfangsjahren nie „freundlich“ zu marginalisierten Menschen gewesen. Tweets mit Rassismus, Antisemitismus und weiteren -ismen sowie persönliche Angriffe wurden nur sporadisch sanktioniert. Meistens hieß es, es sei nicht gegen die Twitter-Regeln verstoßen worden. Es fiel allerdings mit der Zeit auf, daß „linke“ Accounts und solche von Marginalisierten doch öfter mal, teils mehrfach und immer wieder, eingeschränkt oder auch mal endgültig gesperrt wurden. So konnten sich lose Gruppen wie „Sifftwitter“ deutlich besser halten als ihre Opfer, teils auch außerhalb der Plattform und vereinzelt sogar in ihrem direkten Wohnumfeld. Und es blieb nicht immer bei hämischen Drohbriefen. Twitter juckte das im allgemeinen nicht.

Beschwerden wurden bei Twitter nämlich offenbar nach Anzahl Beschwerden pro Tweet bzw. Profil und nicht nach Inhalt bewertet oder maximal kontextlos nach bestimmten Begriffen. Es gab dazu im Februar 2020 ein interessantes Experiment, das diese Vermutung zumindest zu bestätigen scheint. So funktioniert Moderation halt nicht: Gute Moderation bleibt Handarbeit. Algorithmen können ja zum Beispiel auch keinen Sarkasmus und keine (echte) Satire erkennen, schon gar nicht in Dutzenden von Sprachen, die in Tweets ja auch durchaus mal gemischt verwendet werden. Algorithmen haben im allgemeinen keinen Kontext.

Die Macht der Gewohnheit hat mich genauso wie die vielen guten Kontakte lang, vielleicht zu lange bei Twitter gehalten. Aber jetzt hab ich wirklich die Schnauze voll. Und mit dem Fediverse steht mehr als eine gut nutzbare Alternative zur Verfügung.

Mein Zeitplan sieht derzeit so aus:

  • Mein Hauptaccount @AtariFrosch bekommt in der Silvesternacht ein Schloß und wird allen Accounts entfolgen, denen er noch folgt. Gelöscht wird er nicht, damit niemand den Nicknamen dort mißbrauchen kann.
  • Das Archiv des Accounts habe ich letzten Monat heruntergeladen. Wie Zeit und Löffel es zulassen, beabsichtige ich, es auf einer Subdomain von atari-frosch.de zu republizieren. Über die Form bin ich mir da noch nicht einig; es geht immerhin um etwas über 170.000 Tweets.
  • Den Account @dokufotosbiz werde ich ganz löschen.
  • Den Account @entmarginalisi1 lösche ich ebenfalls. Das Entmarginalisierungs-Blog hat sich leider sowieso nicht so gut entwickelt, wie ich mir das erhofft hatte. Ich beabsichtige allerdings, es im Fediverse erneut zu pushen.
  • Den Account @FroschBay, den ich für die Bekanntgabe von eBay-Verkäufen genutzt hatte, hatte ich ja schon länger nicht mehr beschickt. Er ist bereits deaktiviert. Private Verkäufe auf eBay lohnen sich sowieso schon seit ein paar Jahren nicht mehr.

Details können sich natürlich noch ändern, wie das bei Plänen so ist, aber die Richtung ist klar: Ich will mit Twitter möglichst nichts mehr zu tun haben.

Mir ist klar, daß ich dadurch gute Kontakte – zumindest vorübergehend – verlieren werde, und ich freue mich über alle Menschen aus meinem bisherigen Twitter-Umfeld, die ich bereits im Fediverse wiedergefunden habe, genauso wie ich mich auf alle freue, die sich noch für einen Umzug ins Fediverse oder zumindest einen Parallel-Betrieb entscheiden (wobei Crossposting wohl seit heute von Twitter verhindert wird, wie ich gelesen habe).

Ich helfe auch gern beim Umzug, aber es gibt auch bereits viele andere, hilfsbereite Menschen, die Fragen beantworten. Es gibt sogar eine Fediverse-Erkundungs-Tour.

See you on the other si[d|t]e 😉


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